Erfüllte Zeit

16. 07. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Gott verändert diese Welt – durch uns Menschen oder Die Aussendung der zwölf Jünger“ (Markus 6, 7 – 13)

von Dr. Helga Kohler-Spiegel

 

 

Im Markus-Evangelium sind zahlreiche Wundertaten Jesu erzählt, Zeichen, die verdeutlichen sollen, wer Jesus ist. Immer wieder ist von den Gegnern die Rede, die Jesu Untergang und seine Vernichtung planen. Zugleich ist von den Nachfolgern Jesu die Rede, von seinen Helfern, denen das Geheimnis vom Reich Gottes gegeben ist, die es aber nicht begreifen. „Jesu Nachfolger sind zwar guten Willens, lassen es aber völlig an der notwendigen Einsicht fehlen“, so schreibt Bas van Iersel in seinem Kommentar zum Markus-Evangelium. Im heutigen Abschnitt stehen die Nachfolger Jesu im Mittelpunkt. Sie erhalten Anweisungen, um das zu tun, wozu sie als Helfer Jesu berufen sind.

 

Jesus weitet seine Tätigkeit aus, indem er die Zwölf beauftragt, ihnen Ausrüstung und Verhalten vorgibt. Paarweise zu verkünden, gibt dem zu verkündigenden Wort das Gewicht von zwei Zeugen, dies war in der frühen Kirche üblich – für Männer, für Frauen und für Missionsehepaare wie Priska und Aquila. Jesus lässt die Jünger teilhaben an seiner Botschaft vom Reich Gottes. Und es ist immer wieder gut, uns vor Augen zu führen, was die Botschaft Jesu ausmacht, wofür es wert ist, sich auf den Weg zu machen und zu verkündigen: Die Zeit, in die Jesus hineingeboren wurde, war eine Krisenzeit. Fast alle Gruppierungen zur Zeit Jesu rufen dazu auf, dass doch Gott endlich einschreiten muss, um dieser Gewalt und Unterdrückung, diesem Elend ein Ende zu machen. Johannes der Täufer ruft zur Umkehr und Busse auf, die Pharisäer glauben, dass kultische Reinheit und vor allem das Befolgen der Thora das Einschreiten Gottes bewirken wird, sie kennen die Vorstellung, wenn alle Juden einen Tag lang die Tora einhalten würden, dann würde Gott diese Welt erlösen und seinen Frieden errichten. Oder sie erhoffen das Eingreifen Gottes durch offenen politischen Widerstand wie die Zeloten – immer geht es darum, das Einschreiten Gottes im Gericht zu provozieren und so die heilvolle Wende zu bewirken. Auch Jesus erwartete, dass Gott endlich eingreift und sein Reich errichtet. Doch Jesus erkannte und verkündete, dass der Machtbereich Gottes, das Reich Gottes, nicht durch ein Gericht oder durch Waffengewalt einbricht in diese Welt, sondern jetzt schon da ist, indem Menschen einander zugewandt sind, indem die Zuwendung erfahrbar wird. Jesu große Botschaft heißt, dass Gott die Welt nicht durch ein Gericht richtet, sondern durch die Liebe, die bereits begonnen hat, die schon da ist. Wir können jetzt schon diese heilvolle Nähe erfahren und uns durch sie verändern lassen.

 

Und so schickt Jesus seine Jüngerinnen und Jünger auf den Weg, diese Botschaft zu verkünden, Kranke zu heilen, Dämonen auszutreiben, Menschen gesund zu machen – und ihnen die Umkehr, die Veränderung der Perspektive zu ermöglichen: Gott greift ein in diese Welt – durch uns, durch unser Handeln. Wir als Menschen können diese Welt verändern – zum Guten wie zu Schlechten. Es liegt an uns.

 

Ein zweiter Gedanke steckt im heutigen Text: Jesus schickt die Zwölf in die Nachfolge, er ermutigt sie, das zu tun, was er selbst auch macht. Dies ist eine Einladung, in der Gegenwart zu leben. Jesu Anweisungen zur Ausrüstung und zum Verhalten bedeuten: Lass dich auf das ein, was jetzt ist. Für heutige Ohren klingt es fremd: Geh ohne Absicherung, geh ohne Planung, mach dich einfach auf den Weg, andere Menschen werden euch aufnehmen. Dies als pastorales Konzept zu sehen, fällt mir schwer. Viel mehr gibt Jesus seinen Jüngern das weiter, was er selbst lebt – er, der keinen Platz hat, worauf er sein Haupt bettet, der bei Freunden zuhause ist, der „ein Fresser und Säufer“ gewesen sei… Er will seine Verkündigung erweitern, indem auch die Jüngerinnen und Jünger verkündigen. Wie wenn die Zeit knapp würde, wie wenn er mehr Menschen braucht, um zu heilen, um Menschen von Dämonen zu befreien, um die Botschaft weiterzugeben: Gott greift durch uns Menschen in diese Welt ein. Gott verändert das Gesicht dieser Welt durch uns, indem wir uns einlassen, indem sich Menschen auf den Weg machen – dann, so sagt der heutige Text aus dem Markusevangelium – dann ist es möglich, Kranke zu heilen, Menschen zu befreien, ein Stück „Reich Gottes“, ein Stück Himmel erfahrbar zu machen.

 

Und ein dritter Gedanke findet sich im Text: Jesus schickt die Zwölf zu zweit. Manches, was alleine schwierig ist, wird, wenn wir die Aufgabe zu zweit lösen, möglich. Zu zweit sein – es ist ein schönes Gefühl, das sich viele Menschen wünschen, das hoffentlich alle kennen. Vor allem privat: nicht alleine sein, der Einsamkeit entkommen – indem wir das Leben zu zweit bestehen. Aber auch beruflich: Mit einer guten Kollegin, mit einem guten Kollegen an der Seite können wir Herausforderungen besser lösen, Energie, Freude, Engagement, die positiven Kräfte können mehr zum Zug kommen. Und auch Enttäuschungen werden leichter tragbar, wenn wir sie nicht alleine durchstehen müssen. Jesus beauftragt seine Jüngerinnen und Jünger, sich nicht alleine auf den Weg zu machen, sondern Freude und Leid gemeinsam zu teilen, die Kraft gemeinsam zu nutzen. Das ist eine Erfahrung, die wir – so denke ich – kirchlich viel zu wenig nutzen: uns aufeinander einzulassen, uns aufeinander zu verlassen, nicht zu vereinsamen, sondern uns Partnerinnen und Partner zu suchen, Menschen, die einen Weg mit uns gehen. Diese Ermutigung können wir aus dem heutigen Evangelium auch für unseren Alltag nutzen. Vielleicht habe ich bereits Menschen um mich, mit denen ich „zu zweit“ durchs Leben gehen kann. Vielleicht gibt es aber auch Menschen, die ich entdecken kann, dass wir manches gemeinsam aufnehmen können, manches gemeinsam anpacken und verwirklichen können. Dann gelingt es uns vielleicht auch, was von den Zwölf gesagt wird: Sie riefen die Menschen zur Umkehr, zu Neuanfang, zum Perspektivwechsel. Und sie salben Kranke und heilen sie, sie tun den Menschen Gutes, sie machen ein Stück „Himmelreich“ erfahrbar.