Erfüllte Zeit

06. 08. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

"Die Verklärung Jesu"

(Markus 9, 2 - 10)

 

von Veronica Schwed

 

 

Petrus kapiert gar nichts!

Das ist wohl das, was an diesem Text am offensichtlichsten ist. Er hat es ja wirklich nicht leicht! Das wird besonders deutlich, wenn ich einen Blick in den Kontext des heutigen Evangeliums werfe:

Der große Abschnitt des Markusevangeliums, den die Einheitsübersetzung als „Weg Jesu nach Jerusalem“ übertitelt, erzählt zuerst eine Begegnung Jesu mit seinen Jüngern, in der Petrus eine Sternstunde erlebt: Auf die Frage Jesu, für wen die Jünger ihn halten, antwortet er: „Du bist der Messias.“

Gleich darauf wird er von Jesus mit den harschen Worten zurückgewiesen: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Denn du hast nicht im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“ Das ist Jesu Antwort darauf, dass Petrus nicht akzeptieren will, dass Jesus von Leid, Tod und Auferstehung spricht.

Jetzt, im heutigen Evangelium, da ist Jesus wieder so, wie ihn Petrus haben möchte. Er ist der weiß Strahlende, begleitet von Elija und Mose.

Das will Petrus fest halten! Hier will er bleiben! Drei Hütten will er bauen, ein wahrlich törichter Vorschlag, wenn man sich die Situation vor Augen führt.

Seltsamer Weise berichtet uns der Evangelist zwar von diesem unsinnigen Gerede des Petrus, aber nicht, was doch viel spannender wäre, was die beiden Propheten mit Jesus gesprochen haben. Allein die Tatsache, dass die beiden erschienen sind, scheint ihm zu genügen.

Mose und Elia verkörpern die alttestamentliche Prophetie. Indem sie mit Jesus reden, geben sie Zeugnis für Ihn. Sie reihen ihn dadurch in die Linie der Propheten ein. Die Jünger wiederum sind Zeugen des Geschehens, sie sollen durch dieses Ereignis belehrt werden. Petrus allerdings möchte diese Erfahrung der Verklärung festhalten und strukturieren.  Er möchte quasi „Gott ein Zelt unter den Menschen geben.“

Der Höhepunkt dieser Verklärungserzählung ist die Erscheinung Gottes in der Wolke, der, wie bei Jesu Taufe, spricht: „Das ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören!“

Dann folgt die „Ernüchterung“: Von dem, was die Jünger gesehen haben, ist nichts geblieben außer Jesus. Er ist für sie der „Angelpunkt“, ihre Orientierung.

In die Verwirrung der Jünger hinein spricht Jesus nun wieder das Wort von der Auferstehung:

Er verbietet ihnen, irgendjemand zu erzählen, was sie gesehen haben, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei. Und sie fragen einander, was das bedeutet: Von den Toten auferstehen.

Das ist wohl auch die Frage, die Menschen heute bewegt: Was bedeutet das, von den Toten auferstehen?

Es ist die Verheißung, dass in Gott wirklich alles gut wird, dass alles seine Vollendung findet, dass wir ein Ziel für unser Leben haben. Nicht als billige Jenseits-Vertröstung, sondern als Mut machendes Versprechen, das sich auch schon in diesem Leben erahnen lässt.

Allerdings geht der Auferstehung immer der Tod voran, da führt kein Weg vorbei.

Und daraus, aus diesem und aus den vorangehenden Textabschnitten ergibt sich die Schlussfolgerung:

Christ–Sein geht nicht ohne Kreuz und Auferstehung!

So nüchtern würde ich dieses Evangelium der Verklärung zusammenfassen.

Es gehört beides immer zusammen, eines ergibt ohne das andere keinen Sinn.

Wir Christen und Christinnen heute stehen, so wie Petrus und die anderen Jünger damals, in der Spannung, dass wir einerseits schon Teil haben an dieser Herrlichkeit Gottes, an dieser Verklärung des Herrn, aber andererseits wieder „hinunter ins Tal“ müssen. Der Alltag bleibt niemandem erspart.

Christ-Sein ohne Kreuz gibt es nicht! Das darf nicht weggeleugnet werden! In der Verklärung kann man nicht stehen bleiben! Wohl aber wird die Auferstehungsverheißung „mit ins Tal genommen“.

 

 

 

 

Die Botschaft

 

Nicht die Polis, nicht die Nation, nicht der Staat - der Mensch mit seiner in Gott begründeten unantastbaren Würde wird zum Mittelpunkt des politischen Geschehens.

 

Die Würde des Menschen und die aus ihr resultierenden Menschenrechte sind der Maßstab der Gesetze und die Grundlagen für das gleichberechtigte und multikulturelle Zusammenleben der Menschen.

 

Die Liebe zum Nächsten hat den gleichen Rang wie die Liebe zu Gott. Die Liebe zu Gott ist ohne die Liebe zum Nächsten wertlos.

 

Die Liebe zum Nächsten ist nicht platonisch und keine Sache des Gefühls. Sie bedeutet Pflicht zum Handeln für denjenigen, der in Not ist, auch für den Feind. Sie sprengt nationale, kulturelle und religiöse Grenzen, sie gilt allen Menschen unabhängig von Klasse, Rasse, Geschlecht, Nation.

 

Auch für den Feind wird der Mensch zum Nächsten, wenn er in Not gerät.

 

Versöhnung, Entspannung und friedliche Lösung von Konflikten haben Vorrang vor Gewalt und Krieg.

 

Fremdenfeindlichkeit ist mit dem Evangelium unvereinbar.

 

Die Frau ist dem Mann ebenbürtig. Die Diskriminierung der Frauen in der Politik und in der Kirche steht im Gegensatz zum Evangelium. Das Verbot der Frauenordination und das Gebot des Zölibates haben kein Fundament im Evangelium.

 

Die Interessen der Menschen sind wichtiger als die Interessen des Kapitals. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung widerspricht dem Evangelium und ist ein Verbrechen an Milliarden von Menschen, die in Armut, Krankheit und Unwissenheit leben müssen.

 

Zwei Milliarden Christen sind die größten „global players" der Welt. Sie müssen die treibende Kraft für eine neue, gerechte Weltwirtschaftsordnung sein.

 

Jesus verkörpert das Ideal der Glaubwürdigkeit, d.h. die Einheit von Ideen, Reden und Handeln, also die Einheit von Anspruch und Wirklichkeit. So wie er die Menschen damals gegen die Machthaber vertreten hat - unabhängig, freimütig, selbstbewusst, furchtlos - wäre er auch in einem heutigen Parlament der ideale Abgeordnete und Sprecher des Volkes.

 

Das jüdische Volk trägt keine Schuld am Tode Jesu. Der Antisemitismus ist eine Perversion der menschlichen Zivilisation und Kultur.

 

Die Botschaft verlangt die Realisierung in dieser Welt.

 

Aus: Heiner Geißler, Was würde Jesus heute sagen. Die politische Botschaft des Evangeliums, 4. Aufl., Berlin: Rohwolt 2003.