Erfüllte Zeit

01. 10. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Anonyme Christen? – Der fremde Wundertäter und die Warnung vor der Verführung“ (Markus 9, 38 - 48)

von Univ. Prof. Wolfgang Langer


„Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.“ Den Gegen-Satz dazu kennen wir besser, und er scheint eher zuzutreffen: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich.“ So steht es bei Matthäus und Lukas. Das wissen wir doch: Nur die Entscheidung für jemand oder etwas bringt eine wirkliche Beziehung zustande: Interesse, Anhängerschaft, Engagement, Liebe. Ohne positive Entschiedenheit gibt es das alles nicht. Es muss allerdings noch nicht zwangsläufig Gegnerschaft bedeuten. Auch sie setzt ja – dieses Mal eine negative – Entscheidung voraus. Ich muss etwas entschieden ablehnen, um dagegen zu sein.

 

Nun aber: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.“ Ideologen aller Couleur müssen das rundweg verwerfen. Wo kämen wir denn hin, wenn alle, die z.B. eine bestimmte politische Partei nicht abwählen, zu ihren Anhängern gezählt werden müssten? Wenn jeder, der zwar grundsätzlich nichts gegen das Christentum hat, aber eigentlich mit der Kirche nichts anzufangen weiß, als Christ gelten könnte?

 

Der Satz steht am Ende einer kurzen Erzählung von einem Exorzisten, der wie Jesus und in dessen Namen Dämonen austrieb, ohne ein Jünger Jesu zu sein. Ins Heute gewendet wäre das ein Mensch, der hilfsbereit und solidarisch mit den Armen lebt, auf Gewalt verzichtet und versöhnlich ist; einer, der den heutigen „Dämonen“ unserer Gesellschaft: Habsucht, Korruption, rücksichtslose Durchsetzung der eigenen Belange, nicht anhängt, sondern sie bekämpft. Und das alles, ohne „eingeschriebenes Mitglied“ der Kirche, vielleicht sogar ohne getauft zu sein.

 

Für die beamteten Glaubenswächter gehört so jemand nicht zur Kirche. Aber Jesus zählt ihn zu den Seinen. Wie viele Menschen auf dieser Erde leben de facto nach Lebensweisungen Jesu, ohne sich darauf zu berufen, ja ohne sie als solche zu kennen! Und wie viele beschämen mit ihrem Handeln uns „bekennende Christen“! Karl Rahner hat sie „anonyme Christen“ genannt.

 

Die Weite des Herzens, die das Markusevangelium Jesus zuschreibt, ist nicht gerade ein Markenzeichen der römischen Kirche. Viel häufiger werden eifersüchtig Grenzen gezogen. Mehr als noch in den Jahrzehnten des „ökumenischen Frühlings“ soll das konfessionelle Profil geschärft werden. Der Unterschied zwischen zugehörig und nicht zugehörig wird neuerdings wieder stärker betont – anders als im Zweiten Vatikanischen Konzil. Dort heißt es: „Auf verschiedene Weise gehören ihr (der Kirche) zu oder sind ihr zugeordnet die katholischen Gläubigen, die anderen an Christus Glaubenden und schließlich alle Menschen überhaupt, die durch die Gnade Gottes zum Heil berufen sind“ (LG 13). Anstatt den anderen christlichen Glaubensgemeinschaften den Ehrennamen „Kirche“ streitig zu machen (wie in dem unseligen römischen Dokument „Dominus Jesus“), sollten wir uns darüber freuen, dass der Same des Wortes Jesu auch außerhalb der Mauern des eigenen Gartens keimt, blüht und Frucht bringt.