Erfüllte Zeit

08. 10. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Unauflöslich? – Von der Ehescheidung“  (Markus 10, 1 - 12)

von Univ. Prof. Wolfgang Langer

 


„Was Gott zusammengefügt hat, trenne der Mensch nicht!“ Auf diesen Imperativ (im griechischen Urtext) läuft die Lehrrede Jesu über Ehe und Ehescheidung hinaus. Die Pharisäer hatten ihn nach der Geltung des bei den Juden üblichen Scheidungsrechts gemäß dem mosaischen Gesetz (Dtn 24, 1 - 4) befragt. „Kardiosklerose“ lautet seine Diagnose als Ursache für die Legalisierung der Scheidung. Hartherzigkeit führt dazu, dass ein Mann die einst geliebte Frau davonjagt.

 

Der Jesus des Markusevangeliums lässt sich auf Spitzfindigkeiten der jüdischen Debatte um die hinreichenden Gründe für eine Ehescheidung - vom Ehebruch bis zum angebrannten Essen - nicht ein. Er hebt die Auseinandersetzung auf eine andere Ebene. Es geht nicht um juristische Ursachenabwägung, sondern um den Schöpfungswillen Gottes.

 

Gott hat den Menschen als Mann und Frau und die beiden aufeinander zu geschaffen. Das schlichte „und“ zeigt, dass Jesus sie für gleichwertig und gleichberechtigt ansieht – gegen die übliche Abwertung der Frau (als Besitz des Mannes) in der patriarchalischen Gesellschaft seiner Zeit. Das Miteinander beider ist das Glück, das ihnen zugedacht ist. Glück braucht Dauer, Treue und Verlässlichkeit. So ist die Beständigkeit der Ehe gleichsam eingeschaffen. Das entspricht auch der Erfahrung, dass Liebende sich eben danach sehnen.

 

Und doch: Ehen können nicht nur scheitern, sie scheitern auch tatsächlich – heute mehr denn je. Für katholische Christen bedeutet eine Scheidung, dass sie nicht wieder kirchlich heiraten können. Die römische Kirche versteht den Satz Jesu in der Formulierung: „Was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen“, als Rechtssatz, als „göttliches“ und also unabänderliches Verbot. Wie viel Unbarmherzigkeit ist daraus entstanden! Wie viel Elend hat das schon über Menschen gebracht – bis zum heutigen Tag! Muss dieser Satz so verstanden werden? Zeigt nicht die Berufung Jesu auf die Schöpfung, dass es anders gemeint sein könnte, nämlich als eine Weisung zum Leben? Das entspricht viel eher seiner gesamten Verkündigung.

 

Dann wäre darin nicht die „Offenbarung“ der bedingungslosen Unauflöslichkeit der Ehe zu sehen – mit den entsprechenden kirchenrechtlichen Folgen. Vielmehr hätte Jesus das eigentliche und tiefste Wesen der Ehe beschrieben. Darin liegt zugleich das stärkste Motiv für ein darauf gerichtetes menschliches Verhalten: alles zu tun, damit die eheliche Verbindung von Mann und Frau lebenslang dauern kann. Sollte sie dennoch scheitern – durch wessen Schuld und aus welchen Gründen auch immer – müsste das nicht zum absoluten Verbot jeder weiteren Heirat führen. Es gäbe die Möglichkeit der Schuldbearbeitung, der Vergebung und des Neuanfangs. So halten es im Übrigen alle anderen christlichen Kirchen.