Erfüllte Zeit

15. 10. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Von Reichtum und Nachfolge“ (Markus 10, 17 – 30)

von Pater Bernhard Eckerstorfer, Benediktinerstift Kremsmünster

 

 

Der Himmel nimmt einem nichts, ohne es unermesslich zu vergelten. Wer an Gott hingibt, der gewinnt.

Edith Stein

 

Das Evangelium vom reichen Jüngling war ein Wegweiser auf meinem Weg ins Kloster. Als Student besuchte ich einen väterlichen Freund in seiner deutschen Benediktinerabtei. Eines Morgens redeten wir über meine Gedanken, selbst Benediktiner zu werden. Schon seit vielen Jahren konnte ich mir vorstellen, den Schritt ins Kloster zu tun, doch mir fehlte der letzte Anstoß. Und da war überhaupt die Angst, etwas zu verlieren, Dinge und Personen aufgeben zu müssen, die mir wichtig geworden waren, dazu die vielen Möglichkeiten, die sich mir boten - ich wollte sie doch allesamt nutzen, so gut es geht!

 

Mein Freund erwähnte den reichen Jüngling, der Jesus nachfolgen wollte, aber unverrichteter Dinge traurig wegging. Was wir darüber sprachen, ist mir nicht mehr in Erinnerung. Doch was nach unserem Gespräch geschah, hat sich mir eingeprägt: Wir gingen gemeinsam in die Abteikirche zur Messe. Von den vielen Priestern war zufällig mein Freund an der Reihe, das Tagesevangelium zu lesen. Er hielt kurz inne, als wäre etwas Überraschendes geschehen, und las dann - sichtlich berührt - das Evangelium vom reichen Jüngling. Ich war ganz Ohr und sah vor meinem inneren Auge die Szene:

 

Ein junger Mann stürmt auf Jesus zu, fällt ihm zu Füßen und fragt: “Was soll ich tun?” Er scheint bereit, sich für die gute Sache des Wanderpredigers einzusetzen und fühlt sich bereits ziemlich perfekt: “Die Gebote habe ich schon von klein auf befolgt; „Herr, was fehlt noch?” Offensichtlich gefällt Jesus der jugendliche Schwung, denn mit großer Zuneigung sieht er ihn an. Den ganzen Menschen will er für sich gewinnen, damit die Stichflamme zu einem lodernden Feuer wird, das nicht so schnell wieder verlischt. Deshalb fordert er den Jüngling auf: “Geh, verkauf, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach.”

 

Damit hatte der junge Mann nicht gerechnet. Mit seiner ganzen Kraft hätte er sich in das Jesus-Abenteuer gestürzt. “Aber alles aufgeben, was ich mir aufgebaut habe? Beim besten Willen - das kann ich nicht!” Und so schlägt die Begeisterung in Enttäuschung um: Er geht traurig weg, denn er hat ein großes Vermögen. Die Jünger sind bestürzt und fragen Jesus, wer ihm denn dann noch nachfolgen könne.

 

Auch mich trafen die Worte Jesu wie ein Blitz vom Himmel. Schon oft hatte ich sie gehört, aber diesmal fühlte ich mich direkt angesprochen. Und plötzlich leuchtete mir ein: In meinem Fall war mit Besitz gar nicht so sehr das große Geld gemeint; das hatte ich als Student ohnehin nicht. Vielmehr ging es um die vielen Möglichkeiten, die ich nicht hergeben wollte: noch ein Auslandsjahr, eine Sommerwanderung in Alaska, eine weitere Beziehung, Berufserfahrungen hier und dort. Ein ganzes Leben lang hätte ich diese an sich guten Dinge umsetzen können, aber dann wäre ich der innersten Sehnsucht meines Herzens nicht gefolgt. Ich fragte mich: Soll auch ich traurig weggehen, weil ich nichts von meinem Reichtum loslassen möchte?

 

Das Evangelium vom reichen Jüngling hat mir geholfen, den Schritt ins Kloster zu wagen. Sechs Jahre bin ich nun in Kremsmünster und habe an mir und meinen Mitbrüdern erlebt: Wir bekommen in verwandelter Form vieles wieder zurück, was wir für immer verlassen zu haben meinten. Gott nimmt nichts, was wirklich zu uns gehört. Und er schenkt einen anderen Reichtum, den wir oft nicht anstreben, der uns aber doch im Tiefsten erfüllt. Wenn ich so zurück schaue auf mein Leben vor dem Klostereintritt, denke ich mir: Hätte ich dem Wunsch gehorcht, mir nur ja alle Optionen offen zu halten und das Leben “auszukosten”, wäre ich in Wirklichkeit stehen geblieben, hinter meinen Möglichkeiten zurück geblieben.

 

Gerade Jugendliche, die uns Benediktiner kennen lernen, fragen: Wie kann man nur so leben: gebunden an einen Ort, im Gehorsam anderen gegenüber, in klösterlicher Lebensweise, ohne eine intime Beziehung?! Es wäre falsch, ihnen eine heile Welt vorzuspielen. Auch wir haben unerfüllte Wünsche. Aber innerhalb und außerhalb des Klosters gilt wohl: Leben erfüllt sich erst, wenn sich nicht all unsere Wünsche erfüllen. Dann bleiben wir offen für das Unerwartete, das unsere Vorstellungen übertreffen kann. Wenn ich nicht mehr alle Möglichkeiten ausschöpfen will, wenn ich bereit bin, meinen Besitz loszulassen, dann fange ich an, in der Wirklichkeit zu leben, wirklich zu leben.