Erfüllte Zeit

22. 10. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Vom Herrschen und vom Dienen“ (Markus 10, 35 – 45)

von Mag. Regina Polak

 

Wer sich ernsthaft auf einen spirituellen Weg macht, wird zu drei elementaren menschlichen Wirklichkeiten ein neues Verhältnis entwickeln: zur Gewalt, zum Besitz und zur Macht. Alle drei wurzeln im Egoismus des Menschen: Damit ist zunächst nicht primär ein moralisches Vergehen gemeint, das man mit ein bisschen Anstrengung beseitigen könnte. Egoismus meint jene spirituelle Krankheit, die den Menschen geistlich unfrei macht und es ihm verunmöglicht, Gott nahe zu sein. Egoismus bedeutet, an seinem Ego angstvoll-besorgt festzuhalten – an den vielen Eigeninteressen, den eigenen Bedürfnissen und Wünschen - und sie zum Maßstab des Handelns zu machen. Erlösung ist dort zu finden, wo es gelingt, dieses Ego zu lassen und zu erkennen, dass das eigene Selbst, der eigene Personkern zuinnerst und untrennbar mit Gott verbunden ist, sodass man für immer von ihm geliebt ist. Nur dann wird es möglich, immer mehr auf Gewalt, Macht und Eigentum zu verzichten. Der Weg dorthin kann gelernt und geübt werden – wenn man zulässt, dass Gott mithilft, die eigene Herzensenge zu weiten.

Auch das Evangelium als spirituelle Lebens- und Glaubenspraxis ist ein Weg, sich zu Eigentum, Macht und Gewalt in ein neues Verhältnis zu bringen. Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi zeigen, wie man sein Ego, sein Leben lassen und ein neues Selbst, ein neues Leben gewinnen kann. Das Evangelium verspricht, dass in der Nachfolge Jesu die Erlösung von Machtgeilheit, Besitzgier und Gewaltausübung gelingen kann. Ein Versprechen, das wir in einer Gesellschaft permanenter Besitzabsicherung, heftiger Hegemonie- und Konkurrenzkämpfe um die besten gesellschaftlichen Plätze und subtiler Gewaltstrukturen und –mechanismen immer noch dringend nötig haben. Eine Zusage, die im Klima von Leistungs- und Erfolgsorientierung absurd und weltfremd klingt – und die eine heilsame Verunsicherung ist.

In der heutigen Schriftstelle wird die Machtfrage diskutiert. Johannes und Jakobus, die Zebedäusbrüder, wollen an der Macht Jesu teilhaben. Schließlich sind sie ja auch brave und anständige Jünger, werden sie sich vielleicht gedacht haben. Und das waren sie wohl auch, zumindest berichtet das NT nichts Gegenteiliges. Doch offensichtlich müssen – und dürfen - auch diese braven Jünger noch lernen, worin Jesu Macht besteht: dass sie von anderer Art ist als die Mächte und Gewalten der Welt. Lernen müssen das übrigens alle Jünger – denn die anderen ärgern sich ja wohl nicht, weil Jakobus und Johannes Jesus belästigt haben, sondern weil sie neidig sind auf die möglichen Privilegien der beiden, die sie wohl gern für sich selbst gehabt hätten.

Aber Jesus stellt klar, worin seine Macht besteht und was sie bedeutet:

  1. Gott selbst ist es, der Menschen Macht gibt oder nimmt – Jesus hat nichts zu verteilen. Der Weg der Nachfolge sichert keine Platzkarten im Reich Gottes.
  2. Macht im Sinne des Evangeliums bedeutet Dienen. Wahre göttliche Macht hat nur, wer auf Herrschaft über andere Menschen verzichtet und sein Leben für sie einsetzt.
  3. An der Seite Jesu seinen Platz einzunehmen, bedeutet also bereit sein, Leiden und Sterben auf sich zu nehmen. Wer sich das absichtlich wünscht und danach verlangt, weiß nicht, was er tut.

Der Weg der Nachfolge Christi folgt also einer anderen Logik als der Logik der Welt, die in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft immer noch Möglichkeiten sieht, über andere zu herrschen und Eigeninteressen durchzusetzen. Jesus negiert dabei nicht die Fähigkeit des Menschen, Macht zu haben – also die Welt verantwortlich mitzugestalten. Aber er dreht die Logik der Macht um: im Sinne Gottes besteht die wahre Macht im Dienen – bis zum Tod. Der spirituelle Weg, den Jesus vorlebt, führt damit auch direkt und unausweichlich in den Raum der Politik.

Das bedeutet nun gerade nicht, dass Christ/innen keine politische Macht haben dürften. Aber es bedeutet, dass sie das auf eine andere, eine immer noch neue Art tun werden: bereit sein, das eigene Ego zurückzustellen; die eigenen Fähigkeiten in den Dienst der Menschen stellen, die einem anvertraut sind. Das verlangt Selbstdisziplin, Opferbereitschaft und großen Mut sowie die Bereitschaft zu Leiden und Tod.

Ich möchte am Ende einen Christen zu Wort kommen lassen, der im Spannungsfeld Macht und Glaube ein Leben lang um Balance gerungen hat, den Schweden Dag Hammarskjöld. Er hat sein ganzes Leben in den Dienst der Politik gestellt und war von 1953 bis zu seinem Tod UNO-Generalsekretär. In seinem geistlichen Testament, den Wegmarken, ringt er um die Frage, wie er mit der damit verbundenen Macht umgehen kann:

„Es gibt nur einen Weg aus dem dunstigen, verfilzten Dschungel, in dem der Kampf um Ehre, Macht und Vorteil geführt wird – aus den Dich umstrickenden Hindernissen, die Du selbst geschaffen. Und dieser Weg heißt: zum Tod ja sagen.“

Und man wird mit dem Blick auf Jesus Christus, dem Hammarskjöld zeitlebens nachfolgen wollte, ergänzen dürfen: in der Hoffnung, mit Jesus Christus in die Auferstehung hineinzusterben.