Erfüllte Zeit

29. 10. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Aus: Carter Heyward „Jesus neu entwerfen. Die Macht der Liebe und der Gerechtigkeit“, Edition Exodus

 

 

Ungeachtet des Für und Wider, sich Gott in menschlichen Kategorien und Bildern vorzustellen, ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass die tatsächliche Kraft, die das Universum bewegt und um gerechte Beziehung ringt, keine persönlichen Vorlieben hat, wenn es um reich und arm, männlich und weiblich, weiß und schwarz und gelb und braun, menschliche oder andere Geschöpfe auf der Erde oder sonst wo geht. Der Gott, den Jesus leidenschaftlich liebte, war und ist ein Geist, der Jesus, wie uns alle, so zu leben drängte, dass unser ganzes Leben zum Protest gegen Strukturen der Ungerechtigkeit und Ausbeutung in unseren religiösen Institutionen und in der Gesellschaft wird.

 

Derselbe Gott, der, wie wir annehmen, Jesus drängte, die systemische Armut wahrzunehmen und die Gleichgültigkeit zu sehen, mit der die religiösen Führer damit umgingen – dieser selbe Gott ist jeder und jedem Einzelnen von uns zugänglich. Alle Menschen, die zu Jesu Zeiten lebten und wir alle, die wir heute leben, konnten und können Energie, Weisheit und Vertrauen aus diesem Geist schöpfen, der für alle, die daraus trinken, eine nie versiegende Quelle des Mutes und der Hoffnung ist: für Reiche wie Arme, für Männer wie Frauen, für Weiße nicht weniger als für Farbige, für Menschen aller unterschiedlichen sexuellen und geschlechtlichen Identitäten, Gesunde und Kranke, für Menschen mit und ohne Behinderungen und andere Geschöpfe, die wir uns vielleicht gar nicht vorstellen können, es sei denn wir hätten eine sehr phantasievolle Liebe zur Natur.

 

Wir alle, wirklich alle, können den Geist anrufen. Niemand von uns genießt irgendeine Bevorzugung. Dieser, uns allen erreichbare und zugängliche, zu allen Zeiten gerechtigkeitsschaffende Geist ist der Gott, den Jesus liebte, der Ursprung seiner Leidenschaft. Dieser Geist trieb ihn zum Nachdenken in die Wüste, und ermutigte ihn, sich mit seinem Körper allen Herausforderungen zu stellen – mit den Ausgestoßenen zu essen, sich mit Frauen und Fremden zu treffen, religiöse Regeln zu verletzen, wenn sie nichts mit dem Wohl oder den Bedürfnissen der Menschen zu tun hatten. Diese Heilige Macht brachte ihn dazu, sich der Konfrontation mit religiösen und weltlichen Führern zu stellen, und eher seinen Tod durch ihre wütenden Hände in Kauf zu nehmen, als sich selbst, sein Volk und seine Leidenschaft für eben diesen Gott zu verraten.