Erfüllte Zeit

05. 11. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Die Frage nach dem wichtigsten Gebot“ (Markus 12, 28b – 34)

von Regens Nikolaus Krasa

 

Glauben heißt nichts wissen. Ein für unsere Zeit und unsere Denkweisen typischer Spruch. Glauben heißt nichts wissen. Unsere Welt ist zweigeteilt. Da gibt es die des rationalen, sicheren, wissenschaftlich (da steckt auch das Wort wissen drin!) abgesicherten Wissens. Und die andere Welt, dort wo die Wissenschaft an ihre Grenzen stößt, wo es irrational ist, nicht mehr sicher und klar, wo eben der Glauben anfängt.

 

Wissenschaft ist sicher, Glaube unsicher, Wissenschaft ist Kopf und Geist, Religion ist Herz und würden manche vielleicht sogar fortsetzen, Ungeist. Ob in der scheinbaren Rationalität der Evolution Gott denn noch Platz habe wird diskutiert. Und die Frage des Papstes ob Glauben nicht vernünftig sein müsse, entzündet nicht nur die Gemüter. Glaube heißt eben nichts wissen (oder besser nicht wissen).

Das heutige Evangelium scheint da eine andere Position zu beziehen, vermutlich für uns ungewohnt, so ungewohnt, dass man leicht über sie hinweg liest, frei nach dem Motto, was ich nicht sehen will, das sehe ich auch nicht. Das heutige Evangelium bezieht da eine andere Position, denn in einem Glaubensgespräch, das sich da zwischen Jesus und einem Schriftgelehrten entfaltet, spielt auf einmal die Vernunft die entscheidende Rolle. Es geht in dieser Diskussion um die Frage, welches der verwirrend vielen Gebote der Bibel denn den inhaltlichen und logischen Kern der heiligen Schrift darstellten. Tragen wir einige Elemente zusammen.

 

Da ist zunächst einmal der Zusammenhang. Ich habe ihn eben angerissen. Jesus ist in einer gelehrten Diskussion mit einem Schriftgelehrten, einem, sagen wir’s salopp, Bibelwissenschaftler. Der stellt zunächst eine Frage. Was ist die Mitte, das Zentrum all der vielen Gebote? Dann folgt die Antwort Jesu. Und dann ist man von beiden Seiten der Meinung sich verstanden zu haben. Vielleicht haben Sie diese Episode aus den Schilderungen bei Lk und Mt im Kopf. Beide schildern die Szene als Auseinandersetzung, der Schriftgelehrte stellt jeweils Jesus auf die Probe. Ganz anders hier. Man hat das Gefühl, dass beide Gesprächspartner, Jesus und der Schriftgelehrte am Ende zufrieden sind, weil sie dasselbe denken. Markus schildert also keine emotional höchst aufgeladene Auseinandersetzung sondern eher eine rational und fair geführte Diskussion.

 

Eine zweite Beobachtung, und sie lässt uns noch klarer sehen, wie wichtig dieser rationale Aspekt im heutigen Evangelium ist. Die Beobachtung hängt am ersten Schriftwort. Jesus zitiert es als ersten Teil seiner Antwort. Das Schriftwort ist beiden vertraut, dem Schriftgelehrten wie Jesus. Es ist der Text des Schma Jisrael, des Höre Israel, den beide vermutlich 3x am Tag gebetet haben. Höre Israel, der Herr ist unser Gott…

 

Stop. Im Hebräischen folgt hier eine Formulierung, die sich unterschiedlich übersetzen lässt, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einzig. Und das kann heißen „einzigartig“, so wie es ein Liebender von seiner Geliebten sagt, Der Satz kann natürlich auch etwas über die Einzigkeit Gottes aussagen, eine theologische Aussage über Gott treffen: es gibt nur einen Gott. Und so wird er hier übersetzt. Bewusst und betont: Gott ist der einzige Herr.

 

Ein Zweites. Der hebräische Text des Höre Israel fährt fort und beschreibt, wie dieser einzig einzigartige Gott denn zu lieben sei. Ganz und gar. Du sollst den Herrn lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzer Kraft. Jesus fügt hinzu mit deinem ganzen Denken. Du sollst den Herrn lieben, mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Denken und deiner ganzen Kraft, sagt er. Und der Schriftgelehrte, der am Ende Jesus bestätigt, lässt zwar ein Wort aus dieser Kette aus, nicht aber die Formulierung „mit deinem ganzen Denken“. Wer den einzigen Gott lieben will, benötigt den Verstand. Glaube heißt nicht nichts wissen, Glaube heißt wissen. Glaube hat mit Vernunft zu tun.

 

Eine letzte Beobachtung, sie führt uns noch ein Stückchen weiter in unseren vernünftigen Überlegungen zu Glaube und Vernunft. Jesus gibt eine logische, vernünftige Reihenfolge an. Es geht ihm nicht einfach um die Mitte des Gesetzes. Er zitiert zwei Gebote, das eine die Gottesliebe betreffend, das andere die Nächstenliebe. Und er gibt eine Reihenfolge vor: Das erste und wichtigste Gebot ist die Gottesliebe. Das zweite ist die Nächstenliebe.

 

Die logische Reihenfolge Jesu: es ist vernünftig Gott als einzigen Gott zu erkennen und zu lieben. Das ist der erste Schritt. Ebenso vernünftig ist dessen logische Konsequenz. Nämlich den Mitmenschen als unseren Nächsten zu lieben.