Erfüllte Zeit

08. 12. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Verheißung der Geburt Jesu“ (Lukas 1, 26 – 38)

von Univ. Prof. Gerhard Langer

 

 

An die Erzählung des heutigen Evangeliums erinnern sich auch jene, die kaum mehr Bibel lesen, geschweige denn einen Gottesdienst besuchen. Engel, Jungfrau Maria und Heiliger Geist, das sind die richtigen Ingredienzien fürs Adventsingen. Man denkt kaum noch über die Botschaft nach, hat eher verklärte Bilder im Kopf, ein wenig Weihrauch erhöht noch die Stimmung. Dabei ist die Botschaft der Verkündigung an Maria weder kitschig noch weihrauchschwanger. Wer ihre Aussagekraft nicht auf Hirtenspielseligkeit reduzieren will, sollte ihre Anspielungen hören und sich in eine Zeit hineinversetzen, in der die Rede von der jungfräulichen Geburt oder dem davidischen Königreich eine gesellschaftliche und politische Sprengkraft besaß. Dabei verknüpft das Lukasevangelium geschickt biblische, jüdisch-hellenistische, ägyptische und römische Traditionen, um unmissverständlich darzulegen, was es mit dem Kind auf sich hat, das da verkündet wird.

 

Schon der göttliche Bote Gabriel erinnert an die Bibel, unser Altes Testament, als Deuteengel des Danielbuches, der Gottes Willen verkündet und die Zukunft aufschließt. Sie besteht hier aus der Ansage eines Kindes, das nichts weniger sein soll als der von Gott und vor Gott als König eingesetzte machtvolle davidische Herrscher. Sein Name soll Jesus/Jeschu sein. Jeschua ist das hebräische Wort für Retter. Leben, Thronbesteigung und Herrschaft Jesu werden ganz dem Protokoll der alttestamentlichen Könige angeglichen, wie wir es in den Psalmen finden. In besonderer Weise erinnert es an David, dessen Dynastie ausdrücklich erwähnt wird. Bereits in alttestamentlicher Zeit konnte man Davids Herrschaft in einer königlosen Zeit als messianische Hoffnung deuten. Von dieser Botschaft sollte nichts weggenommen oder verkitscht werden. Die wiederholte Verbindung mit David verweist auf Jesus als Endzeitkönig, allerdings wird Jesus dies nicht über die Josefsnachfolge erben. Vielmehr ist er direktes Gottesgeschenk. Die Geistzeugung und die  jungfräuliche Geburt weisen Jesus als göttlich, mächtig und weise aus.

 

Aus ägyptischen, griechischen und römischen Quellen speist sich die Sprengkraft der Bedeutung des göttlichen Kindes, das von der Jungfrau geboren wird. Geistgeburt, Jungfräulichkeit, Einbrechen des neuen Zeitalters prägen diese Traditionen, die sich um die Wintersonnenwende verdichten, wenn die Herrschaft des Sonnengottes mit der Geburt eines Kindes und dem Beginn eines neuen Zeitalters zusammenfällt. Zweifellos kannte die Gemeinde des Lukas die ägyptische Vorstellung, wonach das göttliche Kind, Horus, durch den Gott Re gezeugt und durch Isis geboren wird (so in Philae). Sie kannte auch ihre Übernahme durch den römischen Kaiser Augustus, der sich als „Sohn des (Sonnengottes) Re“, als „Cäsar, der ewig lebt, der von Ptah und Isis Geliebte“ im Geburtshaus des Tempels des ägyptischen Philae feiern ließ. Er, den man als „der Gott, der Sohn eines Gottes“ bezeichnete, ließ den Jahresanfang auf die Geburt des Kaisers legen und als die alles entscheidende Weltenwende begreifen. Vergil hatte dazu passend geschrieben, dass das göttliche Kind eine neue Zeit anbrechen lässt (in seiner 4. Ecloge der Bucolica). Mit der Gleichschaltung des kaiserlichen Geburtstags und des Jahresanfangs machte Augustus deutlich, dass er Geburt und kosmischen Weltenlauf aufs engste verbinden wollte.

 

In Nazaret geschieht also Ungeheuerliches. Ein jüdisches Kind am Rand des Imperiums macht dem römischen Kaiser seine Rolle streitig und wird gleichzeitig als Erfüllung der jüdischen Hoffnung auf davidische Herrschaft verkündet. Die Zimmermannsverlobte Maria kann mit der hochverehrten Atia, der Mutter des Augustus, konkurrieren. Ihre Macht kommt von Gott, dessen behütender Schatten ihr beisteht wie dem Volk Israel. In Ägypten sollte der göttliche Pharao die gerechte weise Ordnung herstellen, die Ma´at. Jüdische Denker wie Philo haben sie auf den Logos, das göttliche Wort bezogen, das den Menschen mit Gott verbindet. Für Christen ist Jesus dieser Logos, der nicht in der Macht der Herrschenden regiert, sondern in der Konsequenz des Kreuzes. Das erst macht die Botschaft von Weihnachten so brisant.