Erfüllte Zeit

10. 12. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Peter Paul Kaspar

 

 

Zu allen Zeiten haben die Menschen ihre Feste mit Musik gefeiert. Denn Musik ist eine Sprache, die unsere Herzen sogar dann berührt, wenn sie aus fremden Kulturen, Sprachen und Religionen kommt. Ohne verbale Sprachkenntnis kann uns Musik „ansprechen“, kann uns berühren – manchmal erschüttern, vielleicht sogar trösten. Deshalb gibt es kein Fest ohne Musik, kein Volksfest, keine Hochzeit – nicht einmal ein Begräbnis wünschen wir uns ohne den klingenden Trost. Deshalb wurden auch die christlichen Gottesdienste an den Sonn- und Feiertagen seit jeher mit Musik begangen. Und solange die lateinische Liturgie die deutsche Wortrede auf das Evangelium und die Predigt beschränkte – also bis vor etwa einem halben Jahrhundert – war die Musik die zweite Sprache des Gottesdienstes.

 

Ältere Menschen erinnern sich noch an jene Zeiten, in denen das Wort des Priesters und der Gesang der Gemeinde (samt dem Orgelspiel und vielleicht dem Chorgesang) in einer guten Balance waren. Man ging damals – obwohl man die lateinische Liturgie nicht verstand – durchaus bereichert nach Hause, während man heute trotz sorgfältig ausgewählter Texte oft wenig aufnimmt und noch weniger behält. Das Übermaß des Gesprochenen behindert die Aufmerksamkeit. Die Balance ist zugunsten des Sprechens gekippt. Die beiden Sprachen der Liturgie – die Sprache der Klänge und die Sprache der Worte – brauchen einander um Seele und Herz, um Denken und Gemüt zu erreichen. Es würde unseren Gottesdiensten gut tun, wenn wir sparsamer, aber auch sprachmächtiger mit dem Wort umgingen, dafür der Musik – sowohl im Singen als auch im Zuhören – mehr Wertschätzung und mehr Sorgfalt zuwenden wollten.

 

Denn beides – Musik und Sprache – sind Liturgie. Die Musik ist nicht Untermalung, Dekoration oder Ornament des Gottesdienstes. Sie ist selbst Liturgie – jedoch in der Sprache der Töne: Klangrede.

 

 

(Aus: „Musik – Berührung der Seele“, Jahrbuch der Diözese Gurk 2007)