Erfüllte Zeit

25. 12. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Hirten von Bethlehem“

(Lukas 2, 15 – 20)

von Pater Gustav Schörghofer SJ

 

 

In der Weihnachtszeit hat uns die Mutter immer das Lied von den Hirten vorgesungen. Mit allerlei Tieren waren sie unterwegs zum Jesuskind. Am liebsten war mir einer, von dem es heißt: „ … und i nimm mei dicks Fackele renn a damit davun“. Das konnte ich mir herrlich vorstellen, wie er ein fettes kleines Schwein im Arm so richtig losrennt. Oder noch besser, wie beide zusammen laufen. Später, wir waren immer noch Kinder, konnte ich mit meinem Bruder das Salzburger Adventsingen im Festspielhaus besuchen. Wir hatten zwar kein Geld aber einen Onkel, der dort beschäftigt war. Der hat uns hineingelassen. Wir sind auf den harten Stufen des Balkons gesessen. Um uns herum die Erwachsenen auf gepolsterten Stühlen. Ein bisschen sind wir uns wie Hirtenkinder vorgekommen, die vom Rand her den Glanz dieser Märchenwelt bestaunen dürfen. Auch Karl Heinrich Waggerl ist auf der Bühne erschienen und hat mit seiner Bassstimme eine schöne Kachelofenwärme verbreitet.

 

All das ist lange her. Inzwischen erscheine nun ich selber, als Priester schön gekleidet, um mich herum Musik und Glanz und Herrlichkeit, die Kirche voll um Mitternacht, von weit und breit sind die Menschen zusammengekommen. Auch unter ihnen gibt es Hirten und Hirtenkinder. Menschen, Erwachsene und Kinder, die auf harten Stufen sitzen, wortwörtlich und bildhaft. Sie sind oft nicht leicht zu erkennen. Doch sie sind wichtig. Nicht, weil sie so wunderbare Stimmungsmacher wären, mit Tieren, Walkjanker und Musik. Hirten stehen für etwas ein, das im Leben des eben geborenen Kindes wichtig sein wird. An den Hirten wird etwas deutlich. Etwas ganz und gar Unerwartetes, Befremdliches, das sich aber auch in anderer Gestalt immer wieder zeigen wird. Gott sucht die Menschen. Aber er sucht sie nicht in den Palästen der Herrschenden, den Häusern der Vornehmen und Reichen, den Tempeln der Priester oder den Lehrsälen der Theologen. Er sucht sie am Rand der Gesellschaft, auf den harten Stufen einer Wirklichkeit abseits der Welt der Satten und Besitzenden. Er sucht sie im Stall, auf freiem Feld, unter den Alten im Tempel, den Kranken und Leidenden, den Zöllnern und Sündern. Jesus hat sich den Reichen und Besitzenden nicht verweigert, aber er hatte eine deutliche Vorliebe für jene, „die nicht im Leben schon alles haben“. Hirten stehen ein für etwas, sie verkörpern eine Haltung. Sie leben im Offenen, unter freiem Himmel. Sie leben wachsam, da sie Verantwortung für die Herde haben. Sie sind bereit, auf das Überraschende, das Ungewöhnliche zu merken und seinem Hinweis zu folgen. Sie lassen sich begeistern.

 

Um heute den Glauben zu bewahren, ist es notwendig, die Häuser der Mächtigen und Besitzenden zu verlassen, die Gedankengebäude all derer, die nur allzu genau wissen, was wahr und gültig ist. Um heute den Glauben zu bewahren, ist es notwendig, immer wieder ins Offene zu gehen, ins Dunkel der Nacht, um dort auf freiem Feld zu wachen. Aus Verantwortung für andere zu wachen. Warum? „Einer muss wachen, heißt es. Einer muss da sein.“ – schreibt Franz Kafka. Einer muss da sein, wenn der Himmel aufreißt, wenn Gott entgegenkommt. Wer konnte damals ahnen, dass das in diesem Kind geschieht, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend? Wer wäre diesem Hinweis gefolgt? Die Hirten haben es getan. Sie haben sich auf den Weg gemacht, ob mit oder ohne Tiere. Sie haben sich überraschen lassen vom Entgegenkommen Gottes.

 

Einen lebendigen Glauben werden heute nur die bewahren, die sich immer neu vom Entgegenkommen Gottes überraschen und begeistern lassen. Es geschieht auch heute. In unscheinbaren Ereignissen, in Personen und Gegenständen, die den Glanz der Herrlichkeit Gottes so wunderbar verbergen wie Krippe, Windeln und Kind. Deshalb haben die Hirten in uns noch lange nicht ausgedient.