Erfüllte Zeit

31. 12. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

„Der zwölfjährige Jeseus im Tempel“ ( Lukas 2, 41 - 52)

von Veronica Schwed

 

 

Eigentlich erstaunlich, dass gerade dieses Evangelium am Fest der Heiligen Familie verkündet wird! Erstaunlich, und auch ein Stück ermutigend!

 

Die Szene, die der Evangelist Lukas hier erzählt, klingt ja eher nach Konflikt, nach Spannung und Missverständnis zwischen dem heranwachsenden Jesus und seinen Eltern, als nach Harmonie und Frieden! Hier wird keine überhöhte Familienidylle gezeichnet, sondern Alltag.

 

Josef, Maria und Jesus nehmen gemeinsam an der jährlichen Wallfahrt nach Jerusalem Teil, obwohl diese eigentlich nur für Männer verpflichtend ist. Das unterstreicht, dass die Familie im religiösen Leben verwurzelt ist und das Gesetz sehr ernst nimmt.

 

Bei diesem Fest sind viele Menschen unterwegs, es ist schwer den Überblick zu bewahren. Jesu Eltern machen sich zuerst keine Sorgen, dass ihr Sohn nicht bei ihnen ist. Sie meinen, er sei bei der Reisegesellschaft und suchen ihn einen Tag lang bei Verwandten und Bekannten. Erst als sie ihn dort nicht finden, kehren sie nach Jerusalem zurück. Drei Tage lang klappern sie die Stadt nach ihrem Sohn ab. – Als Mutter ist diese Vorstellung für mich der absolute Horror!

Die beiden müssen wirklich fertig gewesen sein, als sie Jesus endlich finden: im Tempel inmitten der Lehrer sitzend, ihnen zuhörend und sie befragend.

 

Obwohl sie es ja waren, die die Liebe zu Gott und zur Schrift in Jesus grundgelegt haben, obwohl da das keimt, was sie gesät haben, ist es für sie doch erschreckend.

 

Jesus ist völlig gebannt vom Wort der Schrift, fasziniert von der intellektuellen Auseinandersetzung, berührt von der Weisheit.

 

Gottes Wort hat ihn ergriffen.

 

Auf die vorwurfsvolle Frage der Eltern gibt er eine – auf den ersten Blick pampige – Antwort: Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?

 

Ich habe diesen Satz aus dem Lukasevangelium lange falsch gelesen. Ich habe ihn so verstanden, dass Gott verlangen würde, dass Jesus im Tempel bleibt.

 

Das ist aber gar nicht gesagt.

 

„Ich muss in dem sein, was meinem Vater gehört.“ sagt der Zwölfjährige.

Damit stellt er fest: „Ich brauche das! Das ist für mich wichtig!“

 

Der heranwachsende Jesus, der Gottessohn, der ganz Mensch gewesen ist, der sich langsam vom Elternhaus abzunabeln beginnt, der sich auf seinen eigenen Weg besinnt, dieser Jesus spürt nun, dass er im Tempel sein muss, dass er diesen Ort, dass er den Tempel, dass er die Begegnung mit seinem himmlischen Vater braucht!

 

Hier erfährt er allerdings auch zum ersten Mal, dass Gott sich zwischen ihn und seine Familie stellt.

 

Der Zwölfjährige ist beeindruckend, wie er da unter den bedeutenden Lehrern im Tempel sitzt. Beeindruckend ist er - und einsam ist dieser Knabe.

Er hat eigentlich bereits hier seine Familie verloren und ist dem allmächtigen Gott ausgeliefert.

 

Für Jesus bleibt die heile Familie eine vorübergehende Erfahrung. Das Schweigen der Evangelien über Joseph lassen vermuten, dass Jesus seinen Vater auf Erden früh verloren hat.

 

Wir feiern das Fest der Heiligen Familie am Sonntag nach Weihnachten. Wohl zu keiner anderen Zeit des Jahres sehnen sich die Menschen so nach einer heilen Familie wie jetzt. Weihnachten ist zum überhöhten Fest der heilen Familienidylle geworden. Zugleich spüren viele, dass das nicht gelingt. Die Erwartungen sind zu hoch. Jede Meinungsverschiedenheit stört sofort den Familienfrieden. Die Kinder spüren diese Verlogenheit. Es gibt keine heile Familie, und sie lässt sich auch nicht nur kurz an Weihnachten herstellen.

 

Damit Familie heil werden kann, braucht es vielmehr die Schritte des heutigen Evangeliums:

Einander manchmal aus den Augen verlieren,

sich auf die Suche machen,

einander wieder finden,

einander nicht völlig verstehen müssen

und einander das Geheimnis lassen.

 

Weihnachten will uns keine heile Familie vorgaukeln, sondern es verheißt uns die heilige Familie, die Familie, die geheiligt wird, weil sie das Geheimnis Gottes in sich trägt und weil jede und jeder in ihr ein eigenes Geheimnis hat.

 

Nur wenn wir unser eigenes Geheimnis und das Geheimnis des Ehepartners oder der Ehepartnerin und unserer Kinder im Herzen tragen, sind wir in der Familie daheim, trotz aller Fremdheit und Distanz. Daheim sein kann man nur, wo das Geheimnis Platz hat.