Erfüllte Zeit

31. 12. 2006, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

Aus: „Brief aus Kalkutta“ von Bruder Alois, dem Nachfolger von Frère Roger an der Spitze der Gemeinschaft von Taizé

 

 

So viele Jugendliche überall auf der Erde sind bereit, die Einheit der Menschheitsfamilie sichtbarer zu machen. Sie lassen sich von einer Frage umtreiben:

 

Wie kann man Gewalttätigkeiten und Diskriminierungen widerstehen, wie kann man die Mauern von Hass und Gleichgültigkeit überwinden? Solche Mauern bestehen zwischen den Völkern, den Erdteilen, aber auch ganz in unserer Nähe und sogar im menschlichen Herzen. Wir haben eine Entscheidung zu fällen: die Entscheidung zu lieben, die Entscheidung für die Hoffnung.

 

Die unermesslichen Probleme unserer Gesellschaften können dazu verleiten, alles schlecht zu reden und aufzugeben. Wenn wir uns entscheiden zu lieben, entdecken wir den Freiraum, uns selbst und den Menschen, die uns anvertraut sind, eine Zukunft zu geben.

 

Mit geringen Mitteln lässt Gott uns zusammen mit ihm schöpferisch sein, selbst dort, wo die Umstände wenig verheißungsvoll sind. Auf den anderen zugehen, manchmal mit leeren Händen, zuhören, zu verstehen suchen; und schon kann sich eine verfahrene Lage verändern.

 

Gott erwartet uns bei den Menschen, die ärmer sind als wir. „Was ihr einem der Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan."

 

Im Norden wie im Süden schüren enorme Ungleichheiten Zukunftsangst. Manche widmen ihre Energie mutig der Veränderung ungerechter Strukturen.

Lassen wir uns alle mit unserer Lebensweise in Frage stellen. Vereinfachen wir unseren Lebensstil. Und wir werden für die anderen verfügbar und öffnen ihnen das Herz.

 

Heute gibt es vielfältige Initiativen des Miteinanderteilens, die jedem offen stehen. Kreativer, fairer Handel oder das Kleinkreditwesen haben erwiesen, dass Wirtschaftswachstum und Solidarität mit den Ärmsten Hand in Hand gehen können. Es gibt Menschen, die dafür sorgen, dass ein Teil ihres Geldes der Wiederherstellung größerer Gerechtigkeit zugute kommt.

 

Ein kostbarer Beitrag zur Vermenschlichung unserer Gesellschaften ist es, unsere Zeit zu verschenken. Jeder kann sich bemühen, wenigstens einem Menschen zuzuhören und beizustehen, einem Jugendlichen ohne Arbeit und Hoffnung, einem Mittellosen oder einem Betagten.

Sich entscheiden zu lieben, sich für die Hoffnung entscheiden. Wenn wir auf diesem Weg durchhalten, entdecken wir erstaunt, dass sich Gott noch vor jedem Schritt unsererseits für jede und jeden von uns entschieden hat: „Fürchte dich nicht, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. Ich bin dein Gott, du bist wertvoll in meinen Augen und ich liebe dich.