Erfüllte Zeit

18. 03. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Gleichnis vom verlorenen Sohn“ (Lukas 15, 1 – 3. 11 – 32)

von Regens Nikolaus Krasa

 

 

Haben Sie gestern Ihren Persönlichkeitstest gemacht? Sie kennen sie sicher, die Persönlichkeitstests in den Samstagsbeilagen unserer Tageszeitungen. Sie kommen nach der Arbeit nach Hause. Was tun Sie als erstes: 1. Sie kochen sich einen Tee, 2. Sie lesen die Zeitung, 3. Sie drehen den Fernseher auf, 4. Sie setzen sich gemütlich hin und lassen den Tag Revue passieren. Wenn man dann die Punkte der einzelnen Fragen zusammenzählt, erfährt man, ob man introvertiert ist oder gerne auf Menschen zugeht, ob man riskiert im Leben oder eher auf Nummer sicher geht.

 

An so einen Persönlichkeitstest erinnert das heutige Evangelium. Sicher: verschiedene Antwortmöglichkeiten werden nicht vorgegeben. Es gibt auch keine Punktewertung, aber: das Evangelium endet mit einer offenen Frage. „Was würden Sie in dieser Situation machen?“ Ist Ihnen aufgefallen, dass der zweite Teil des Evangeliums, die Geschichte vom älteren Sohn, von jenem, der zu Hause geblieben ist und sich jetzt über das Verhalten seines Vaters ärgert, dass dieser zweite Teil offen bleibt? Der Vater geht dem Älteren entgegen, so wie dem ersten Sohn, versucht ihm gut zuzureden, doch zum Fest zu kommen. Der Sohn beklagt sich über das unfaire Verhalten des Vaters. Während er ihm immer treu gedient hat, gab es für ihn nie ein Fest. Ein Fest aber wird für den Sohn veranstaltet, der davongegangen ist, sein Vermögen zum Fenster hinausgeworfen hat, und der als stinkender Bettler zurückgekommen ist. Der Vater beharrt auf dem Fest, ja fügt noch hinzu: dass muss sein, ist also kein Zusatzvergnügen sondern für den Vater Notwendigkeit. Und jetzt bleibt die Geschichte offen. Wie der ältere, der bravere Sohn auf das Verhalten des Vaters reagiert wird nicht gesagt. Was würden Sie tun? Sich über den Übeltäter empören und dem Fest fernbleiben? Der Überredungskunst des Vaters äußerlich nachgeben, aber mit innerem Unwillen beim Fest sitzen? Oder überzeugt vom „es muss sein“ des Vaters einfach mitfeiern?

 

Lukas hat diese Entscheidungsfrage in den ersten Versen des heutigen Evangelienabschnittes bereits vorbereitet. Von der Empörung der Gerechten und Frommen über das Verhalten Jesu war da die Rede. Denn die Sünder (die Zöllner als besonders augenfällige Gruppe wird da vorangestellt) kommen zu Jesus, immer wieder, Jesus nimmt sich ihrer an, pflegt sogar Mahlgemeinschaft. Sollte er nicht klarere Grenzen setzen zwischen Gut und Böse, zwischen den Menschen, die recht handeln und denen die Fehler machen. Das kann doch nicht gut gehen, was er da tut, akzeptiert er im Letzten damit nicht Schuld und Unrecht?

 

Sich klar von Menschen, die Fehler gemacht haben distanzieren? Die Gemeinschaft mit ihnen suchen? Wie also hätten Sie reagiert? Was hätten Sie gemacht?

 

Die Geschichte die Jesus erzählt, war zumindest in ihrem ersten Teil seinen Zuhörern vertraut. Es kam vermutlich öfters bei vermögenden Großbauern vor, dass der jüngere Sohn sich seinen Teil des Erbes auszahlen ließ, und versuchte damit in den großen Städten des östlichen Mittelmeerraumes, in Alexandria oder in Antiochia, sein Glück zu machen. Und vermutlich gelang das nur einem Teil, manche landeten in der Gosse weil Sie mit ihrem Geld unklug umgingen, oder weil sie schlichtweg Pech hatten. Man war dann schnell am untersten Ende der Gesellschaft angekommen, musste Dinge tun, für die man sich schämte, einfach um zu überleben. Schweinehüten, also auf unreine Tiere aufpassen, gehörte für einen gläubigen Juden wohl dazu. „Verflucht, wer Schweine hütet“, so ein Text aus der späteren jüdischen Tradition.

 

Da kommt also diese gescheiterte Existenz verdreckt und verlaust zurück, es gibt keinen Tadel, keine Zurechtweisung, er muss kein Schuldbekenntnis ablegen, von all dem nichts, er wird umarmt, und man feiert ein Fest für ihn. Was hätten Sie gemacht? Mitgefeiert oder sich über die Ungerechtigkeit aufgeregt?

 

Da gibt es aber noch etwas zu beobachten. Psychologisch einfühlsam beschreibt Jesus, was im jüngeren Sohn vor sicht geht: wie die Einsicht wächst, Unrecht getan zu haben, ganz unten angekommen zu sein, wie die Erinnerung kommt, dass es beim Vater doch schöner war und dann die Hoffnung, vielleicht als Knecht bei seinem Vater angestellt zu werden. Man kann sich gut vorstellen, wie all diese Dinge dem jüngeren Sohn auf seinem Heimweg durch den Kopf und durch das Herz gegangen sind. Wie er immer wieder an seiner Entschuldigungsformel bastelt: Vater ich habe mich versündigt. Doch bevor er noch seine Entschuldigung vorbringt, hat ihn der Vater, dem ihm entgegen gegangen ist, schon umarmt. Er weiß was im Inneren seines Sohnes vorgegangen ist, welche Hölle er durchgemacht hat. Eigentlich wunderschön. So geht der Vater, Gott, so geht Jesus  mit den Menschen, mit uns um…

 

Und das ist eigentlich noch eine zweite Frage, im Persönlichkeitstest des heutigen Evangeliums: mit welchem der beiden Söhne kann ich mich identifizieren?