Erfüllte Zeit

01. 04. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die letzten Tage in Jerusalem“ (Lukas 19, 28 – 40)

von Dr. Regina Polak

 

 

„Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, Dein König kommt zu Dir. Er ist gerecht und arm; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin.“

 

So wird im 9. Kapitel des Buches Sacharja beschrieben, wie der lang ersehnte Friedensfürst, der Messias, kommen wird. Nicht hoch zu Ross – auf einem Eselsjungen wird er die Vertriebenen heimholen, die Unterdrückten aufrichten, die Gefangenen befreien und eine Friedensherrschaft über die ganze Erde errichten, so die unglaubliche Verheißung.

 

Wie sieht dieser Friedensfürst aus? Nun, gerade nicht, wie man sich üblicherweise einen Herrscher vorstellt: Sein Auftreten ist nicht triumphal, nicht stolz, nicht alles und alle überwältigend – sondern bescheiden, demütig, arm. Mit dem Bild des Mannes auf dem Esel werden alle Erwartungen auf einen, der „endlich einmal dreinhaut“, „aufräumt“ und die Belagerer, die Unterdrücker, die Gefängniswärter bestraft und zerstört, zunichte gemacht. Nachhaltiger Friede, Gottes Friede ist nur mit friedlichen Mitteln zu haben. Der Mann auf dem Esel ist eine Art „paradoxer“ Messias, ein Herrscher, der auf Macht verzichtet.

 

Wenn Lukas bei der Beschreibung des Einzugs Jesu in Jerusalem diesem Esel nun soviel Aufmerksamkeit widmet, teilt er den Schriftkundigen mit: Jesus ist dieser erwartete Friedenfürst. Mit ihm bricht ein für alle Mal die Gottesherrschaft an. Aber: Der neue König marschiert in das religiöse und politische Zentrum Israels nicht ein mit Legionen, er verzichtet auf alle Insignien irdischer und göttlicher Macht. Er ist kein herrschaftlicher Triumphator, er ist ein bescheidener Mann auf einem Esel.

Der Ritt auf dem Esel ist so auch ein politisches Statement. Sichtbar wird, wie Gott Macht ausübt und sein Befreiungswerk der Menschen vollzieht.

 

Religions- und kirchenpolitisch ist der Eselsritt hochbrisant und aktuell. Viele Christen und Christinnen fragen sich heute, wie man Gottes Interessen, Gottes Verheißungen, Gottes Herrschaft gesellschaftlich relevant werden lassen kann. Für die monotheistischen Religionen ist das nicht nur eine legitime, sondern aus Gründen des Glaubens unverzichtbare Fragestellung. Denn die Heilige Schrift verheißt unmissverständlich auch, dass der Anbruch der Gottesherrschaft bereits hier und heute, in konkreter Welt und Gesellschaft, ökonomische, politische, soziale Verhältnisse so verändert, dass sie den Menschen zum Heil gereichen können.

 

Bloß: Wie können diese Verheißungen im 21. Jahrhundert konkret werden? Und wie muss sich daher die Kirche verhalten, die den Anspruch erhebt, diese Verheißung zu tragen, darzustellen und zu realisieren?  Die jahrhundertelange und zum großen Schaden der Kirche auch vielfach gewaltgenerative Verbindung von Religion und Politik, Thron und Altar, verbietet der Kirche, Glaubensinteressen mit politischen Mitteln durchzusetzen. In einer säkularen und zugleich religiös pluralen Gesellschaft, in der die Trennung und Religion und Politik im Namen der Religionsfreiheit zu den unhintergehbaren Voraussetzungen jeder Religions- und Kirchenpolitik gehört, stellt sich zudem die Frage, wie die Kirche im Konzert der anderen Religionen und inmitten säkularer Institutionen ihre gesellschaftspolitischen Visionen einbringen und realisieren kann.

 

Der Eselsritt Jesu nach Jerusalem, das religiöse und politische Zentrum Israels, Inbegriff einer von sozialen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Spannungen zerrissenen Gesellschaft, gibt erste Hinweise auf die Haltung, den Habitus, in dem Religions- und Kirchenpolitik in der Nachfolge Jesu einzig geschehen können:

 

Ausgeschlossen sind triumphalistische Selbstbehauptung; ebenso fragwürdig ist jede Art von Identitätspolitik, die im religiösen Feld um Vorherrschaft und Machträume kämpft. Jesus zeigt einen anderen Weg:

 

mutig mitten nach Jerusalem einreiten, sich zeigen, sich aussetzen

aber bescheiden, demütig  auf Herrschaftsansprüche verzichten

und schließlich nüchtern damit rechnen, dass dieser Weg am Kreuz enden kann

 

Was ist die spirituelle Botschaft dieses politischen Statements?

 

Eine solche paradoxe Art der Machtausübung ist vermutlich nur jenen möglich, die ihre Macht gerade nicht auf politische Machtmittel stützen, sondern wissen, dass sie in all ihrem Handeln und Tun von der Macht Gottes abhängen, die immer nur Liebe ist. Nur wer vertraut, dass Gottes Liebe das letzte Wort hat, auch im Tod, kann einen solchen Eselsritt riskieren.

 

Jesu Ritt auf dem Esel ist so eine bleibende Herausforderung, spirituell und politisch. Der einzige Weg zur Herrschaft Gottes besteht darin, wie Gottes Sohn darauf zu verzichten, hoch zu Ross einzureiten.