Erfüllte Zeit

01. 04. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Das Kreuz ist der Maßstab, an dem die Welt gemessen wird

 

 

Man muss lernen, die Probleme der Welt und vor allem die Probleme des Menschen mit dem Maßstab des Kreuzes und der Auferstehung Christi zu messen.

 

Christ sein heißt, im Licht des Ostergeheimnisses Christi zu leben. Und in ihm einen festen Bezugspunkt zu finden für das, was im Menschen ist, für das, was zwischen den Menschen ist, für das, was die Geschichte der Menschheit und der Welt ausmacht. Der Mensch, der in sich selbst hineinschaut, entdeckt dort – wie Christus im Dialog mit den Pharisäern sagt – das, was „von unten“, und das, was „von oben“ stammt (vgl. Joh 8, 23). Der Mensch entdeckt in sich (und dies ist eine bleibende Erfahrung) den Menschen „von oben“ und den Menschen „von unten“: nicht zwei Menschen, sondern gleichsam zwei Dimensionen desselben Menschen, des Menschen, wie jeder von uns einer ist: ich, du, er, sie...

 

Und jeder von uns wird – wenn er aufmerksam und selbstkritisch in sich hineinblickt, wenn er versucht, sich selbst in der Wahrheit zu sehen – sagen können, was in ihm zum Menschen „von unten“ und was zum Menschen „von oben“ gehört. Er wird es beim Namen nennen und eingestehen können.

 

Und schließlich: In jedem von uns gibt es ein gewisses spontanes Bestreben, vom Menschen „von unten“ zum Menschen „von oben“ zu gelangen. Das ist ein ganz natürliches Verlangen. Außer wir unterdrücken und ersticken es in uns.

 

Es ist ein Verlangen, und wenn wir mit ihm zusammenwirken, dann entwickelt sich dieses Verlangen weiter und wird zur treibenden Kraft in unserem Leben.

 

Christus lehrt uns, wie man mit ihm zusammenwirkt. Wie man das weiterentwickelt und vertieft, was im Menschen „von oben“ stammt, und wie man das schwächt und überwindet, was „von unten“ ist. Christus lehrt es uns mit seinem Evangelium und durch sein persönliches Beispiel.

 

Das Kreuz wird hier zu einem lebendigen Maßstab. Es wird zum Bezugspunkt, durch den das Leben von Millionen Menschen von dem, was im Menschen „von unten“ stammt, zu dem übergeht, was „von oben“ ist.

 

Das Kreuz und die Auferstehung: das Ostergeheimnis Christi.

 

 

Predigt bei der Eucharistiefeier mit den Angehörigen der Universitäten Roms im Petersdom am 30. März 1982.

 

(Aus: Johannes Paul II. „Jesus Christus die Mitte der Zeit. Der Papst über die Bedeutung der Erlösung im neuen Jahrtausend“, Styria-Verlag)