Erfüllte Zeit

09. 04. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Die Begegnung mit dem Auferstandenen auf dem Weg nach Emmaus“

(Lukas 24, 13 – 35)

von Dr. Helga Kohler-Spiegel

 

Wir sind an einem Übergang, für Lukas sind diese Übergänge wichtig.

 

Bevor ich auf den heutigen Evangeliumstext eingehe, muss ich zurück, an den Beginn des Lukas-Evangeliums. Die Zeit, in die Jesus hineingeboren wurde, war eine Krisenzeit. Die Bedrohung der kulturellen und religiösen Identität spitzte sich massiv zu. Fast alle jüdischen Gruppierungen in dieser Zeit wollen bewirken, dass Gott endlich wieder einschreitet und die Welt heil macht, dass endlich der Messias kommt und die Welt erlöst. Johannes der Täufer will dieses Einschreiten Gottes bewirken durch Umkehr und Buße, die Pharisäer durch kultische Reinheit und das Befolgen der Thora, die Zeloten wollen dies durch offenen politischen Widerstand. Man ging also davon aus, dass das Weltende unmittelbar bevorstehe und Gott durch das Gericht hindurch sein Reich errichten werde. Doch Jesus hat erkannt, dass der Machtbereich Gottes nicht durch ein Gericht einbricht in diese Welt, sondern jetzt schon da ist, indem Menschen einander zugewandt sind, indem die Zuwendung erfahrbar wird. Die Erde ist der Ort, wo der Himmel bereits erfahrbar ist – wenn wir so leben wie Jesus. Wir können, das wissen wir, „den Himmel auf Erden haben“ oder es kann „die Hölle sein“. Wir können hier und jetzt „wie im Himmel“ leben. Auf diesem Weg, durch uns „schreitet Gott ein“ und verändert die Welt zum Besseren. Das ist die Botschaft Jesu.

 

Johannes der Täufer vertritt das Erste Testament, in seiner Predigt am Jordan wartet er selbst auf den Messias. Wir sind an einem Übergang. Und auch jetzt, am Ende des Evangeliums, nach der grausamen Ermordung Jesu – ein neuer Übergang. Bei Lukas ist es wichtig, dass Menschen an solchen Übergängen begleitet werden, dass sie einander begleiten. Am Beginn des Evangeliums sind es die beiden Frauen, Elisabeth und Maria, die einander begleiten. Maria geht zu Elisabeth, die zu alte und die zu junge Frau bekommen ein Kind – die ältere, Elisabeth, freut sich mit der Jüngeren über das Baby, die Freude der älteren ermöglicht den Lobgesang der jüngeren, das Magnifikat. Gemeinsam schaffen Maria und Elisabeth diesen Übergang.

 

Am Ende des Evangeliums, in dieser Situation von Angst und Trauer, sind die Jüngerinnen und Jünger wieder begleitet. So überliefert es die Emmaus-Geschichte: Nach dem Tod Jesu am Kreuz ist alles verloren. Die beiden Jünger auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus sind ganz in Trauer, verwirrt. Aber sie sind wenigstens zu zweit; sprachlich können zwei Männer oder ein Mann und eine Frau gemeint sein, das werden wir wohl nie genau wissen.

 

Die Jünger sind so blind und taub, dass sie nur die Fakten sehen. Sie haben keinen Blick und keine Ohren mehr für Botschaften der Frauen, die verkündet haben: "Er lebt", Blick und Perspektive sind eingeschränkt. Da kommt ein Fremder dazu. Nichts Spektakuläres geschieht, er geht einfach mit denen mit, die so orientierungslos ihre Wege gehen. Es kommt zum Gespräch, sie erzählen, was sie bewegt, sie bleiben bei dem, was traurig macht. Sie erzählen von der Erfahrung der Frauen, sie kennen die Botschaft und hören doch nur Fakten, die keinen Sinn machen.

 

Wenn wir von der Not und der Traurigkeit berührt werden, ringen wir darum, diesen Erfahrungen Bedeutung zu geben, sie zu deuten. Unsere Geschichten sollen nicht zufällig und sinnlos bleiben, wir suchen nach einer Bedeutung dieser Erfahrungen – so auch die so genannten Emmaus-Jünger. Jesus deutet ihnen ihre Erfahrung anhand der Schrift, er liest sie mit anderen Augen, gibt Deutung und Bedeutung. Und ohne dass sie es merken, ohne dass es sichtbar ist, entsteht etwas Neues. Etwas hat sich verändert, plötzlich die Bitte, der erste Satz in die Zukunft: Bleib diesen Abend, damit es einen Morgen gibt.

 

Und es geschah, dass er mit ihnen zu Tisch war..." Wir brauchen lebendige Zeichen, nur dann kann unser Herz brennen. Wir brauchen beides: Wort und Handlung, Erfahrung. An diesem Übergang sind die Jünger doppelt begleitet – sie begleiten einander, und sie sind von diesem Fremden begleitet, der mitgeht.

 

Noch sind die beiden nicht am Ziel. Ein mühsames Stück Weg steht noch aus: der Weg zurück. Mit brennendem Herzen brechen sie auf, nach Jerusalem, der Stadt der Vergangenheit und der Zukunft. Nach dem tiefsten Punkt einer Krise, so wissen wir, ist es nicht leicht, mit den gemachten Erfahrungen als veränderte Person in die „alte Welt“ zurückzukehren. Die Gefahr, wieder in alte Muster zurückzufallen, ist groß. Und dennoch – sie sind nicht allein, sie haben einander als Zeugen für die Veränderung, für die neue Perspektive, für die neue Sicht. Sie kehren zurück mit neuen Augen und neuen Ohren.

 

Diese Überlieferung bei Lukas zwischen Emmaus und Jerusalem ist eine vielfältige und eine tröstliche Erzählung: eine neue Perspektive finden braucht einen Weg und braucht Zeit, es braucht Symbole und Rituale, es braucht ein offenes Ohr für Neues/ Fremdes, und es braucht eine Person an der Seite. Ich muss solch schwere Wege nicht alleine gehen, ich werde an Übergängen, in Krisen begleitet sein, das ist die Zusage dieser Erzählung.