Erfüllte Zeit

20. 05. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Jesu Fürbitte für alle Glaubenden“ (Johannes 17, 20 – 26)

von Pater Gustav Schörghofer SJ

 

Im Gurkenglas sind alle eins. Da gibt es keine Unterschiede. Die Gurken weichen in der Größe nur geringfügig voneinander ab. Sie schmecken alle gleich. Sie haben die gleiche Farbe. Sie schauen gleich aus. Sie liegen dicht beieinander. Die Einheit der Gurken im Glas ist wunderbar. Sie sind ein schönes Bild für die Einheit einer Gemeinschaft. Finden Sie nicht auch? Es gibt keine Andersfarbigen, keine Größeren und keine Kleineren, keinen unterschiedlichen Geschmack, kein fremdartiges Aussehen. Nichts stört den Eindruck einer großen und alles umfassenden Einheit. Im Gurkenglas herrscht Frieden.

 

Jesus hat den Frieden der Gurkengläser gestört, er hat ihn zerstört. Das hat ihn sein Leben gekostet. Aber seitdem ist etwas in der Welt, das nicht mehr zur Ruhe kommt. Selbst wenn in der Kirche früher und auch heute immer wieder das Gurkenglas als Modell der Einheit betrachtet wird, die Kirche als katholische Einheitspartei, straffe Organisation, alle unter einem Kommando, im Gleichschritt. Selbst wenn das so ist. Es ist doch nicht das, was der Kirche von Anfang an Leben gegeben hat, was sie zu kühnen Unternehmungen ermutigt hat, was als treibende Kraft zu einem immer neuen Aufbruch über die Grenzen des Eigenen hinaus beflügelt hat. Mit Jesus ist etwas in die Welt gekommen, das seitdem nicht mehr zur Ruhe gekommen ist.

 

„Alle sollen eins sein; wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“

 

Das ist kein Aufruf zur Einheit. Hier wird kein Appell abgegeben, fest zusammenzuhalten. Es ist ein Gebet. Jesus wendet sich kurz vor seinem Tod an den Vater und bittet ihn um Einheit. Er bittet um die Einheit aller, die an ihn glauben. Von welcher Einheit ist hier die Rede? Auf jeden Fall nicht von der der Gurkengläser, nicht von der Einheit der Einheitsparteien, der Gleichgeschalteten, der Gleichförmigen. Um welche Einheit bittet Jesus seinen Vater im Himmel?

 

Wenn Jesus vom Vater spricht, weist er auf eine Beziehung hin, in der er selber seinen Ursprung hat. Wenn er von seiner Sendung spricht, weist er darauf hin, dass er aus diesem Ursprung herausgetreten ist und sich auf das Fremde eingelassen hat, die Welt, die Menschen. Gott zeigt sich hier als Beziehung, die sich nicht selbst genug ist. Gott macht sich auf die Suche nach dem anderen, dem Menschen. Gott will nicht ohne den Menschen sein. Wenn Jesus davon spricht, dass alle eins sein sollen, weist er darauf hin, dass Welt und Menschen in seine Beziehung zum Vater hineinwachsen können. Das bedeutet nichts anderes, als dass wir alle Anteil haben können am Leben Gottes, dass wir sein können wie Gott. Einheit heißt also, in die Beziehung Jesu zum Vater hineingenommen sein, Anteil zu haben am Leben Gottes.

 

Diese Sicht der Einheit stellt mich vor eine Entscheidung. Sie fordert mich heraus. Mit der Vision der Gurkenglaseinheit ist sie unverträglich. Sie wird diese Vision zerstören. Wenn ich mich der Dynamik des Glaubens an einen Gott anvertraue, der seinen Himmel verlassen hat, um sich auf die Suche nach dem Menschen, nach mir zu machen.

 

„Alle sollen eins sein; wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ Das Gebet Jesu geht dahin, dass wir eins sind mit Gott, der sich in Jesus auf die Suche nach dem anderen macht. Gott wird Mensch. Er will nicht ohne den Menschen sein. Der Mensch lockt Gott aus sich heraus. Der Mensch zieht Gott hinein in die Welt. Ich werde diesen Gott erst dann verstehen, wenn ich werde wie Gott. Wenn ich mich vom anderen aus meiner Welt locken lasse. Wenn ich das Gurkenglas meiner Vorstellungen, Wünsche, Überzeugungen zerschlagen lasse. Weil ich entdeckt habe, dass es etwas Besseres gibt. Das Bessere ist, sich diesem Gott anzuvertrauen, der nicht ohne uns sein wollte. So kann auch ich nicht ohne die anderen sein, muss auch ich mich auf die Suche nach den anderen machen. Eins sein in Gott – das heißt zum anderen sagen: Ich will nicht leben ohne dich.