Erfüllte Zeit

17. 06. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Begegnung Jesu mit der Sünderin“ (Lukas 7, 36 – 8, 3)

von Pfarrer Hans-Peter Premur

 

 

Das Lukasevangelium ist im Vergleich zu den anderen drei Evangelien von wesentlich anderer Struktur. Aus einer gewissen Distanz betrachtet vermeint man, eine durchdachte Komposition wahrzunehmen. Am Anfang begegnen uns die wunderschönen Kindheitsgeschichten Jesu, die uns vor allem um Weihnachten herum beschäftigen und die Lukas, wie er selbst zu Beginn seines Evangeliums sagt, sorgfältig recherchiert hat. Danach treffen wir häufiger als in anderen Texten auf Heilungsgeschichten, wohl weil Lukas selbst Arzt gewesen ist. Eines jedoch fällt beim Lesen des gesamten Textes besonders auf: es gibt einen Moment in der Schilderung des Wirkens Jesu, an dem dieser scheinbar mitten im Satz, mitten in den vielen Bewegungen mit körperlich und seelisch bedürftigen Menschen eine abrupte Richtungsänderung vollzieht. So als ob er auf der Ferse kehrt macht, so wendet er sich Richtung Jerusalem. Auf diesem Weg dorthin, der wie ein langsamer Mysterienweg erscheint, begleiten wir ihn von Sonntag zu Sonntag mit den so genannten Perikopen. Diese Evangelienstellen sind es, die wir in den Gottesdiensten vorgelesen bekommen und über die die Priester und Gottesdienstvorstehende zu predigen versuchen. Ist Ihnen, liebe Zuhörer dies schon einmal aufgefallen, dass das Lukasevangelium ein einziger großer Marsch auf Jerusalem zu ist? Dieser Weg, ein literarischer Kunstgriff, wird zur Kette, auf die Lukas die einzelnen Jesu Worte und Handlungen wie Perlen auffädelt. Heute hören wir auf diesem Weg, der drei Jahre gedauert hat, dass auch Frauen mit unterwegs sind. Eine von ihnen wurde wie magisch von ihm angezogen. Lukas berichtet, in der ihm so eigenen herzbewegenden menschlichen Art von dieser Begegnung. Dabei wird uns beim Lesen des Textes gar nicht bewusst, dass sich in dieser Begegnung ein orientalischer Tabubruch verbirgt. Im Alten Orient, so wie auch heute noch in vielen Gegenden, sind die nackten Füße der Menschen etwas, dass es zu verstecken gilt. Diese zu berühren, sie zu waschen und zu salben, ist etwas, das nur dem Ehepartner oder dem Meister gegenüber vollzogen wird. In Indien zum Beispiel beugt man sich heute noch, um die Füße des Gurus oder auch des Universitätsprofessors zu berühren und damit Achtung und Verehrung auszudrücken. Problematisch werden die bloßen Füße aber während einer Mahlgemeinschaft, wenn man miteinander zu Tische liegt, oder heute eben sitzt. Lukas will uns mit dieser Begebenheit sagen, dass diese Frau, die Füße Jesu als die göttlichen Füße des Meisters erkannt hat. Sie will nicht nur diese waschen, küssen und salben, sondern sie will ihm zu Füßen sitzen und ihm folgen. Sie will ihren alten Weg verlassen und einen neuen einschlagen. Sie will den Weg Gottes auf Erden mitgehen und das tut sie auch.

 

Dabei ist sie nicht alleine. Magdalena, Maria, Susanna, Johanna und viele andere, wie uns der Text erzählt, sind von Anfang an in den Fußstapfen Jesu unterwegs. Sie sind nicht etwa Mitläuferinnen in einer Männergesellschaft, sondern gehören in die erste Reihe. Ohne sie wäre es wohl sehr schwer gewesen, das Unternehmen Jesu, die Spur der Botschaft vom Reich Gottes, in dieser Welt zu implantieren. Ohne Frauen hätten die Jünger aber auch die Pharisäer von damals und auch die gesamte Kirche spirituell viel weniger verstanden.

 

Was ich am Lukasevangelium so mutig und bemerkenswert finde ist, dass er in einer  patriarchalen Zeit sich nicht scheut, die besondere Beziehung Jesu zu den Frauen nicht nur zu erwähnen, sondern diese auch in das Zentrum der Botschaft zu stellen. Lassen wir als Kirche uns doch davon inspirieren.