Erfüllte Zeit

22. 07. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Maria und Marta - Zwischen Vielheit und Fülle“ (Lukas 10, 38 – 42)

von Veronika Prüller-Jagenteufel

 

 

Wie gut kenne ich das – nicht nur diese sehr bekannte biblische Geschichte der beiden Schwestern Marta und Maria – sondern: Eilen und betriebsam sein, tausend Dinge zu tun und alles am besten bis vorgestern schon. Termindruck, Erwartungen von anderen und mein eigener Perfektionismus treiben mich an. Und die Sehnsucht nach Sammlung wächst.

 

Wenn ich da hineingerate, stehen oft nicht nur die vielen Aufgaben vor mir, sondern es kommt dieses innere aufgeregt sein dazu, das man den Stress nennt. Und dann geht es auch mir manchmal so, dass ich andere, die nicht ebenso in der Hektik sind, nicht nur beneide, sondern ihnen fast böse bin. Ihre Ruhe nervt mich – wohl weil sie mir erst recht meine Unruhe zeigt.

 

Aber ich kenne auch die andere Seite: Als mir vor zwei Jahren ein Sabbatjahr möglich war, hatte ich manchmal fast ein schlechtes Gewissen – so aussteigen zu können, ist ja ein echtes Privileg. Darf ich das überhaupt? Bin ich dann out? Bin ich unfair denen gegenüber, die dann das Tätigsein alleine weitertragen müssen? Vernachlässige ich nicht meinen Auftrag in dieser Welt? Diese Fragezeichen kehren auch heute zuweilen wieder, denn seit meinem Sabbat haben sich bei mir die Gewichte verschoben. Ich bin zwar wieder voll im Beruf, aber ich habe doch etwas besser gelernt, mich nicht in Überforderung zu begeben. Ich kann mich öfter entscheiden, nicht in diesen inneren Stress zu verfallen. Und tatsächlich, ich bete mehr. Der Dynamik, die dabei entsteht, wirklich zu vertrauen – auch dann, wenn sie z.B. gewohnte Rhythmen in Frage stellt – ist eine schöne Herausforderung, aber auch nicht immer leicht.

 

Dass Jesus in der Bibelstelle die hörende Maria in Schutz nimmt, tut mir da schon gut – auch wenn ich dabei lächeln muss, weil das so ganz die klassische Auslegung dieser Stelle trifft, die immer schon argumentiert hat, dass es darum geht, Aktion und Kontemplation gut zu verbinden. Wie das genau gehen soll, haben viele, die auf dieser Stelle ihre Unterweisungen für christliche Frauen aufgebaut haben, aber eher unterschlagen – und oft blieben die Frauen dann lediglich mit weiteren zusätzlichen Anforderungen übrig: Mitten in all ihren Aufgaben als Hausfrauen, Mütter, Berufstätige und ehrenamtlich Engagierte sollten sie zudem ruhig und gesammelt und primär auf Jesus hörend sein, sich nicht hervortun und schon gar nicht andere zum Arbeiten anhalten – schlechtes Gewissen ist da schon vorprogrammiert: Denn alles kann keine. Und das Ideal der nur Hörenden entspricht weder dem realen Alltag vieler Frauen, noch ihrem berechtigten Wunsch nach Mitmischen in der Öffentlichkeit.

 

Aber ich wollte eigentlich mit meiner heutigen Auslegung gar nicht in diese alte Kerbe schlagen. Gibt es nicht auch neue, andere Aspekte? Auf der Suche danach schaue ich in andere als die gewohnten Übersetzungen:

 

Fridolin Stier etwa hat die entscheidende Passage so übersetzt: „Marta, Marta, Du sorgst dich und regst dich über vieles auf; aber man braucht nur eins. Maria hat sich also den guten Teil gewählt, der ihr nicht genommen werden soll.“ Der gute Teil – tatsächlich steht da im Griechischen kein „besser“. Da muss keine Wertung eingetragen werden. Nicht die eine Schwester macht das Bessere, Richtigere, Christlichere. Jesus tadelt nicht Martas Tun, er bedauert eher ihren Neid auf die Schwester, ihre innere Aufregung, die sich an der Ruhe der anderen nur noch stärker entzündet.

 

Und in der so genannten Bibel in gerechter Sprache liest sich diese Stelle so: „Marta, Marta, du sorgst dich und lärmst über die Vielheit. Eines aber ist nötig. Maria hat das gute Teil erwählt, das wird man nicht von ihr wegnehmen.“

 

„Du lärmst über die Vielheit.“ – Diese Formulierung zieht mich an. Genau das ist es, was ich eben auch von mir kenne: Dass mich das Viele aus der Bahn wirft; nicht die einzelnen Aufgaben, die ich habe, sind das Problem, sondern dass es so viele sind. Oder genauer gesagt, dass ich in der Vielheit die Übersicht verliere und nicht mehr weiß, was Vorrang hat, was jetzt sein muss und was warten kann. In aller Ruhe dann eines nach dem anderen zu tun, die Prioritäten klar zu haben und mich auf mein inneres Gespür zu verlassen, was jetzt im Moment gerade wirklich wichtig ist, das gelingt nicht immer; besonders dann nicht, wenn der Lärm dazukommt, dieser innere Lärm, den Druck, Unzufriedenheit und Neid machen. Und der sich dann gegen andere nach außen wendet. Dann entsteht Rivalität, entsteht auch zwischen uns beunruhigende Vielheit statt befruchtendem Einssein.

 

„Eines aber ist nötig“, heißt es in der Bibelstelle. – Ich wünsch mir eigentlich nicht, nur mehr eine Aufgabe zu haben, einen Freundeskreis, eine Sorge. Ich mag die Vielfalt meines Lebens, seine unterschiedlichen Bezüge. Aber ich merke, wie gut es tut, wenn ich mich immer wieder an dem Einen ausrichte, dem Einen, dem Maria zuhört und dem Marta dient: an Jesus Christus. – Die Vielheit meines Alltags ordnet sich dann wie die Eisenspäne am Magneten und verliert dabei ihren Schrecken; aus der befremdlichen Vielheit wird belebende Fülle – und auch das, was wirklich zu viel ist, wird erkennbar und veränderbar. Manchmal kommt sogar das Werten zur Ruhe und dann schweigen auch der Neid und das schlechte Gewissen. Der Dynamik des Betens zu vertrauen, wird leichter. Und Jesu Gastgeberin zu sein, ihn einzuladen in die Fülle des Alltags und mich in Anspruch nehmen zu lassen, schmeckt nicht mehr nach Überforderung.