Erfüllte Zeit

02. 09. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Such dir nicht den Ehrenplatz aus – Die Heilung eines Wassersüchtigen am Sabbat“ (Lukas 14, 1. 7 – 14)

von Elisabeth Rathgeb

 

 

"Such dir nicht den Ehrenplatz aus. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden."

 

Was für ein anachronistisches Wort in unserer Zeit! Sämtliche Lebensratgeber-Bücher, Managementtrainings und Wirtschaftskonzepte geben doch den gegenteiligen Tipp: Erfolg hat, wer sich selbst ins rechte Licht rückt.

 

Arbeit findet, wer eine Ich-AG gründet. Wahlen gewinnt, wer "am besten rüber kommt". Inhalte werden zur Nebensache. Hauptsache, die Verpackung stimmt.

Schein statt Sein ist das Motto.

 

Mit einer Meldung wie im heutigen Evangelium hätte Jesus in unserer "Seitenblicke-Gesellschaft" schlechte Karten: Total "out" und überhaupt nicht "in". Oder können Sie sich einen Buchtitel vorstellen, der die Hitlisten stürmt und lautet: "Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden?"

 

Da hat das T-Shirt, das ich im Juli an einem italienischen Strand gesehen habe, schon bessere Verkaufschancen: "I love me" war da am Rücken eines jungen Mannes zu lesen. Schön und gut für ihn. Aber wie er da einsam über den Sand stolziert ist, hat sich in mir der leise Verdacht geregt, dass es ihm ergehen könnte wie dem legendären Narziss, der vor lauter Selbstverliebtheit vergessen hat, dass der Mensch ein Gegenüber braucht - und am Du zum Ich wird. Doch das ist leichter gesagt als getan in einer Wettbewerbsgesellschaft, die um jeden Preis Sieger sehen will und keine Verlierer.

 

Gönnt uns Jesus keinen Erfolg, wenn er mahnt: "Such dir nicht den Ehrenplatz aus"?

 

Jesus ist kein Spielverderber. Und die Bibel ist kein Buch für scheinheilige Moralapostel. Eher versteht sie sich als Wegweiserin zu einem geglückten Leben, als Maßstab für gelingendes Sein. Das Wort Gottes will nicht einschränken, verhindern oder bevormunden - es will in die Freiheit führen. Es will Wege aufzeigen, wie sich menschliches Leben in ganzer Fülle entfalten kann.

 

So gesehen ist das heutige Evangelium ein Warnschild nach dem Motto "Achtung: Sackgasse Hochmut". Dieser Weg führt nicht zum Ziel. Du bleibst stecken, verrennst dich. Wer sich selbst erhöht auf's Stockerl stellt, wird leicht hoch-mütig. Und Hochmut ist schon im Alten Testament als Risikofaktor, als Sackgasse im menschlichen Leben eingestuft worden. So sagt Jesus Sirach: "Für die Wunde des Hochmütigen gibt es keine Heilung, denn ein giftiges Kraut hat in ihm seine Wurzeln."

 

Der Hochmütige ist also ein "Vergifteter", einer, der eine Überdosis genommen hat von dem, was in kleineren Portionen gesund sein kann: So wird aus einem Zuviel an Mut Hochmut. So wird aus gesunder Selbsteinschätzung ungesunde Selbstüberschätzung. Aus Freude und Dankbarkeit wird Stolz.

 

Auch die Wüstenväter kennen diese Vergiftungserscheinungen, die Suchende süchtig machen können: Sie definieren sie daher als Irrwege auf der Suche, als Ver-suchungen. Auf ihrem Weg zu spiritueller Reife und Gotteserfahrung werden "Ruhmsucht und Stolz" von den Wüstenvätern zu Sackgassen erklärt. Denn beide führen zum Haben, statt zum Sein. Sie entfremden den Menschen von seinem wahren Selbst: "Er ist nicht mehr er selbst." "Sie ist total abgehoben."

 

Wer abhebt, verliert den Boden unter den Füßen, die Bodenhaftung. Aber Bodenhaftung heißt nichts anderes als "humilitas", das ist die "Demut". Das Gegenteil von Hochmut ist also Demut: Mut zur Bodenhaftung. Mut zum Sein. So, wie es wirklich ist. Mit allen Stärken und Schwächen. Sein statt Schein.

 

Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden. Wer sich erniedrigt, wird erhöht werden.

 

"Erniedrigen" hat daher nichts mit masochistischer Selbstzerfleischung zu tun. Lieber würde ich sagen, "erniedrigen" meint "auf den Grund gehen", den Kontakt zu sich selbst nicht verlieren. Wer sich traut, den Dingen und sich selbst auf den Grund zu gehen, wird nicht zu Grunde gehen. Er oder sie wird nicht auf falschen Schein hereinfallen. Er oder sie wird festen Grund unter den Füßen haben und aufrecht durch's Leben gehen können.

 

Sich selbst und den Dingen auf den Grund gehen, hat aber auch noch eine andere Dimension, eine die über uns selbst hinaus führt: Die Chance, den Grund des Lebens zu entdecken, den "Urgrund des Seins", Gott. Denn das ist das eigentliche Risiko des Hochmütigen: Dass er sich selbst an die Stelle Gottes setzt. Aber auch der Größte und Beste, die Erfolgreichste und Schönste muss irgendwann erkennen, dass alles Menschliche begrenzt ist. Spätestens dann stellt sich die Frage: Wer bin ich, wenn ich nichts mehr bin?

 

Wer den Dingen auf den Grund geht, bleibt in Kontakt mit sich selbst, den Mitmenschen und mit Gott. Er fällt nicht ins bodenlose Nichts, sondern wird aufgefangen in der Liebe Gottes.