Erfüllte Zeit

09. 09. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Jesus in die Mitte stellen – Vom Ernst der Nachfolge“

von Elisabeth Rathgeb

 

 

"Ziehe von nun an auf den Spuren Christi. Sorge dich nicht um morgen. Suche zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit. Gib dich ganz hin, verschenke dich, und in reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man dich beschenken..." Mit diesen Worten nimmt die Gemeinschaft von Taizé seit ihrer Gründung 1940 durch Frère Roger neue Mitglieder auf.

"Ziehe von nun an auf den Spuren Christi" - wie geht das?

 

Bei einem Besuch in Taizé heuer im Juni hatte ich Gelegenheit, mit Bruder Alois, dem Nachfolger von Frère Roger, zu sprechen. Auf die Frage, was für ihn das wichtigste Kennzeichen Frère Roger's war, hat er geantwortet: "Frère Roger hat sich nie selber in den Mittelpunkt gestellt. Die Mitte war immer Christus." Das gibt den Brüdern von Taizé eine große Freiheit und Weite, eine Freude und innere Gelassenheit, die sich authentisch und echt anfühlt.

 

Den Spuren Jesu folgen - das ist auch das Thema des heutigen Evangeliums: Jesus stellt "Bewerbungs-Kriterien" auf für alle, die ihm nachfolgen wollen. Diese fallen ziemlich hart und anspruchsvoll aus:

 

1.) Familie und eigenes Leben zurück stellen.

2.) Das eigene Kreuz auf sich nehmen.

3.) Auf den ganzen Besitz verzichten.

 

Was bleibt da noch für Durchschnitts-Christen und -Christinnen wie mich? Wenn wir das heutige Evangelium im größeren Zusammenhang des Evangelisten Lukas lesen, finden wir eine Fülle von Aussagen Jesu zur Frage der Nachfolge. Diese Stellen sind für die September-Sonntage ausgewählt worden - hier ein kurzer Streifzug: Letzten Sonntag legt Jesus den Pharisäern ans Herz, nicht auf Ehrenplätze zu pochen, denn "wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden." Heute in zwei Wochen hören wir die Aufforderung Jesu an seine Jünger, sich zu entscheiden: "Niemand kann zwei Herren dienen - Gott und dem Mammon." Wer aber nicht ganz auf Besitz und Geld verzichten will, soll sich wenigstens "Freunde machen mit dem ungerechten Mammon" - ihn also teilen.

 

Dazwischen eingebettet ist beim Evangelisten Lukas der Besuch Jesu bei Zöllnern und Sündern: Hier verwendet er ganz andere Bilder und Gleichnisse. Die Zielgruppe der Zöllner und Sünder hört keine Strafpredigt, sondern das Gleichnis vom barmherzigen Vater, der den verlorenen Sohn mit offenen Armen wieder aufnimmt. Jesus geht sogar noch weiter und erzählt vom Hirten, der dem verirrten Schaf so lange nachgeht, bis er es gefunden hat. Und zur Verstärkung dieser Botschaft verwendet er das Bild der Frau, die ihr ganzes Haus auf den Kopf stellt, um die verlorene Drachme wiederzufinden.

 

Gott als Suchender, als Liebender, als einer, der dem Menschen nachgeht und wie am Anfang im Paradies fragt: Adam, das heißt: Mensch, wo bist du? Die Gruppe der Zöllner und Sünder bekommt von Jesus also eine Einladung zur Rückkehr und die hoffnungsvolle Zusage, dass Gott selber schon entgegen geht. Die Zielgruppen der Pharisäer, der von Jesus ausgewählten Jünger und derer, die ihn begleiten, hören hingegen klare Forderungen: Das Reich Gottes ist nicht von vornherein schon für sie reserviert. Jesus mischt die Karten neu.

 

Den Spuren Jesu folgen - wie geht das also im Jahr 2007?

Drei Gedanken dazu:

"Die einfache Sehnsucht nach Gott ist schon der Anfang des Glaubens." So überschreibt Frère Roger ein Kapitel der "Quellen von Taizé". Denn "nicht wir, sondern er hat uns zuerst geliebt", heißt es im 1. Johannesbrief. Dieser Sehnsucht nach Gott in meinem Leben Platz und Raum geben - das ist der Anfang des Glaubens.

 

Als nächstes finde ich bei Frère Roger den Satz: "Lebe das wenige, das du vom Evangelium begriffen hast..."

 

Als dritten Gedanken wähle ich das Lebens-Beispiel Frère Rogers: Nicht sich selbst, sondern Christus in die Mitte stellen.

 

„Auf Christus schauen“ – das ist auch das Motto des Papstbesuches in Österreich, der heute in Wien zu Ende geht. Auf Christus schauen – das heißt, Ihn in den Mittelpunkt stellen, Ihn zum Maßstab machen, an Ihm Maß nehmen.

 

Wenn Christus die Mitte ist, relativieren sich Macht, Geld, Besitz, Erfolg, Einfluss. Wenn Christus die Mitte ist, verändert sich die Perspektive. Wenn Christus die Mitte ist, verwandelt sich mein Leben und die Welt: Etwas vom Reich Gottes wird schon hier und jetzt und heute spürbar.