Erfüllte Zeit

16. 09. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Erkenne Gottes Herz – Die Gleichnisse vom verlorenen Schaf, der verlorenen Drachme und dem verlorenen Sohn“ (Lukas 15, 1 – 32)

von Propst Maximilian Fürnsinn

 

 

„Erkenne in Gottes Wort Gottes Herz!“ Dieser Satz stammt von Papst Gregor dem Großen. Eine bessere Überschrift kann man über die drei Gleichnisse des heutigen Sonntagsevangeliums nicht setzen. „Erkenne in Gottes Wort Gottes Herz!“

In diesen drei Gleichnissen spürt man den Herzschlag Gottes ganz deutlich.

Diese drei Erzählungen gehören zum Kern des Lukasevangeliums und zu den schönsten Gleichnissen des ganzen Neuen Testaments. Diese drei Geschichten zeigen das herzliche Verhältnis Gottes zu uns Menschen. Was sagen sie uns?

 

Zunächst: Gott lässt dem Menschen einen unglaublichen Spielraum an Freiheit! Der Mensch kann sich verlaufen, er kann sich verrollen und er kann das Erbe des Vaters durchbringen. Diese Freiheit lässt uns Gott. Aber diese Freigabe des Menschen schließt auch ein, dass der Mensch sich Gott ganz frei zuwenden kann. Gott will, dass der Mensch IHN liebt und das in herzlicher Freiheit. Gott zwingt nicht, sondern ER schenkt seine Gnade so, dass wir uns IHM frei zuwenden können. Gott ist eben Liebe – und Liebe gibt immer frei – nur Angst fesselt.

 

Das ist die doppelte Seite der Freiheit, die in den drei Gleichnissen steckt: Die Freiheit zum Weggehen und die Freiheit zum Heimgehen; die Freiheit zum Verlaufen und die Freiheit sich finden zu lassen. Trotzdem ist die Umkehr nicht so sehr eine Willensanstrengung des Menschen, sondern es ist Gottes geduldige Liebe, die den Menschen heimzieht. Es ist das Bild des barmherzigen Vaters in der Seele des Sohnes, das den Sohn heimfinden lässt. Das ist die eigentliche Kraft, die den Menschen heimgehen lässt. Und Gott scheint sich an das Prinzip zu halten: Es gibt keinen Sünder ohne Zukunft!

 

Aber die drei Gleichnisse des heutigen Evangeliums gehen noch einen Schritt weiter: Gott ist ein nachgehender Gott! Es gehört zu den geheimnisvollen Erfahrungen, dass Gott in einer unglaublichen Geduld auf uns wartet. ER lässt dem Menschen Zeit.

 

Der heilige Augustinus hat für seine Bekehrung viele Jahre gebraucht. In seinem Buch „Bekenntnisse“ schreibt Augustinus über die Jahre seines Irrens und Suchens: „Aber Du, Gott, hast immer schon auf mich gewartet!“

 

Von diesem Augustinus stammt auch der Satz: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht, o Gott, in Dir.“ Dieses Wort darf man angesichts der drei Gleichnisse auch umdrehen: Unruhig ist das Herz Gottes, bis ER den Menschen gefunden hat und bei ihm zur Ruhe kommt; bis der Mensch zur Wohnung Gottes geworden ist. Gott ist ein Suchender!

 

Der Dienst Jesu an den Armen und Verlorenen zeigt das ganz deutlich. ER geht den Menschen nach. Dieser Kernpunkt seiner Sendung bringt Jesus in den drei Gleichnissen von heute zum Ausdruck: Ich gehe euch nach! Ich suche euch! Das kann uns trösten, aber es braucht auch unsere Bereitschaft, sich suchen zu lassen. Das ist gar nicht so selbstverständlich. Denn von den ersten Seiten der Bibel an wird vom Menschen gesagt, dass er sich vor Gott aus Angst oder aus Überheblichkeit versteckt. Wir machen’s Gott nicht leicht!

 

Die Gleichnisse bringen noch eine frappierende Gotteserfahrung: Gott macht sogar aus unseren Defiziten ein Fest! Jede dieser drei Verlustgeschichten endet mit einem Fest: der Freudentaumel über das gefundene Schaf; die Hausfrauenparty nach dem Auffinden des Geldstücks; und das Gelage nach der Heimkehr des Sohnes.

 

Diese Feste sind eine starke Ansage: dass Gott nämlich nicht nur vergibt, satifiziert oder bloß sagt: „Schwamm darüber“ – sondern ER macht aus unseren Defiziten ein Fest. Das zeigt die Erzählung vom „Verlorenen Sohn“ ganz deutlich: nach seiner eigenen Selbsteinschätzung erwartet der Sohn im Haus seines Vaters höchstens noch die Einstellung als Knecht. Das hat er verdient und das hätte ihm auch genügt. Aber so ist Gott nicht! ER schenkt im Augenblick der versöhnenden Umarmung alles, was den Sohn zum Sohn und zum Erben macht: er bekommt Schuhe, ist kein Bloßfüßiger mehr; er bekommt ein Kleid und seine Blöße und Armut werden mit Herrlichkeit umkleidet; er bekommt den Ring, den Siegelring und wird zum legitimen Erben. So ist Gott! Felix culpa! Glückliche Schuld!

 

Das ist ja auch der Kern des Bußsakraments: Gott vergibt nicht nur, sondern macht uns wieder zu Söhnen und Töchtern Gottes; ER schenkt Gemeinschaft mit IHM und allen anderen und macht das Leben zum Fest.

 

Der Schluss des heutigen Evangeliums bringt noch eine wichtige Erfahrung mit Gott: Gott geht auch zu den Daheimgebliebenen hinaus! Auch Sie brauchen die Nähe und Zuwendung Gottes. Sie sind zwar nicht weggelaufen, aber das selbstverständliche Bleiben bringt bisweilen eine schleichende Entfremdung: Eine Entfremdung durch Gewohnheit und Routine, durch den Verlust des inneren Feuers, durch einen so selbstverständlichen Umgang mit Gott, bei dem man nicht mehr um seine Berufung zu ringen braucht oder bis zu einer Absicherung in fundamentalistischen Positionen, durch die man immer schon weiß, was Gott zu tun hat. Wer fühlt sich da nicht angesprochen? Auch dorthin geht Gott!

 

ER geht zum älteren Sohn hinaus und kehrt zur Herde der 99 Gerechten zurück. Auch sie brauchen Gnade und Erbarmen. Denn die schleichende Entfremdung ist mindestens so gefährlich, wie das Davonlaufen. Also steht auch ihnen das Herz Gottes offen.

 

Und die größte Beleidigung Gottes – die Sünde wider den Geist – besteht darin: Nicht von Gott gesucht, getragen und heimgebracht werden zu müssen. Die nicht angenommene Liebe ist die eigentliche Unerlöstheit.