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Erfüllte Zeit30. 09. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Gerecht – und/oder barmherzig – Das Beispiel vom reichen Mann und vom armen Lazarus“ (Lukas 16, 19 – 31) von Propst Maximilian Fürnsinn
Jedes Mal, wenn ich diese Schriftstelle höre, erinnere ich mich an ein Bild aus der Schulzeit. Es befand sich in meinem Religionsbuch und zeigte sehr naturalistisch den „Reichen Prasser“ in den Höllenflammen und den „Armen Lazarus“ im Himmel und im Schoß Abrahams.
Dieses Bild hat mich einerseits wegen seiner Dramatik angezogen und neugierig gemacht – andererseits habe ich es wegen seines Schreckens schnell überblättert. Es war ein richtiger Angstmacher, ein Schocker. So drastisch hat man damals Himmel und Hölle, Erlösung und Verdammung dargestellt. Viele Menschen, gerade ältere Menschen, haben solche Bilder weit in das Leben hinein mitgenommen.
Heute wiederholt sich die Lazarusgeschichte in der Realität noch viel schrecklicher. Man braucht nur täglich „Zeit im Bild“ anzusehen und das Bild aus meinem Religionsbuch wird durch die Schaurigkeit mancher Ereignisse weit überholt. Die Lazarusgeschichte spielt sich heute auf globaler Ebene ab: die Dritte und Vierte Welt liegen heute vor den Toren reicher Länder.
Aber auch bei uns haben wir den Lazarus vor der Türe liegen und er stört immer noch genau so: er stört unsere Feste, unsere Urlaube, unseren Arbeitsbetrieb, unsere Freizeit. Wir möchten feiern und leben – aber da steht plötzlich dieser Lazarus vor uns in der Gestalt eines Menschen, der Zuwendung und Wertschätzung braucht (und der kann sogar im eigenen Haus sein); oder er ist da als Ausländer, als Asylant.
Unsere Konsumwelt verdrängt viele Menschen – aber wir sind oft damit beschäftigt, unseren Besitzstand, unseren Wohlstand zu wahren.
Und die demographische Entwicklung wird uns dazu noch in allen Generationen viele Lazarusse bescheren: Alte, die nicht mehr richtig begleitet und gepflegt werden; Junge, die am Reichtum der Alten nicht partizipieren können. Sie sind da die Lazarusse – ob wir wollen oder nicht.
Diese Analyse und die biblische Erzählung vom armen Lazarus und vom Reichen werfen viele Fragen auf: Es geht um das Verhältnis von menschlicher Schuld und göttlicher Gerechtigkeit? Stimmt das einfach gestrickte Muster, dass das Böse bestraft und das Gute belohnt wird? Wie verhalten sich dann Gottes Gerechtigkeit und seine unendliche Barmherzigkeit? Rächt Gott die Sünde? Gleicht Gott im Himmel den irdischen Mangel aus? Wie richtet Gott? Welchen Spielraum an Erbarmen hat Gott in seiner unendlichen Liebe? Ist Gott an das Verhalten des Menschen gefesselt und gezwungen nach unserem Gerechtigkeitsschema vorzugehen?
Ich versuche ein paar Annäherungen an diese Fragen. Ich möchte dazu ein paar Hinweise geben: Schon der hl. Augustinus hat an diesen Fragen gelitten. Er hat dann zu einer theologischen und menschlichen Lösung gefunden. Nämlich: „Die Sünde hassen – aber den Sünder lieben!“ In einer solchen Formel ist auch Platz für einen weiten Spielraum göttlicher Barmherzigkeit. Da wird das böse Verhalten des Menschen nicht überspielt oder zugedeckt – aber doch die Freiheit der Liebe und des Erbarmens gewahrt. – Das ist ein Versuch, mit dieser Erzählung Jesu zurecht zu kommen.
Ich bin fest überzeugt, dass Jesus mit dieser Geschichte nicht so sehr drohen, sondern eher warnen wollte. ER will mit dieser Geschichte aufrütteln. Wie so oft im Lukasevangelium warnt Jesus vor den Gefahren des Reichtums. Es genügt IHM deshalb nicht, dass der Reiche – wie er es mit seinen Möglichkeiten gewohnt ist – ein Wunder bestellt. Er kann sich immer alles leisten, auch außergewöhnliche Schritte. Das ist kein wirklicher Wandel; das ist bloß eine zu späte Reue. Der Reiche muss eine innere Liebe zu Gott und zu den Menschen finden. Nur diese Bewegung hin zur Liebe kann aus „verdammten Situationen“ retten.
Deshalb verweist Jesus auf die sogenannten „ganz normalen Mitteln“, die den Weg zu dieser Gottes- und Nächstenliebe zeigen. Und ich übersetze diese Hinweise gleich in unsere Zeit und Sprache. Nämlich: es gibt die Hl. Schrift, die Verkündigung und die Predigt; es gibt den Gottesdienst und die Sakramente; es gibt die jahrhundertelange Erfahrung der Geschichte des Heils; es gibt die Schönheit der Schöpfung und es gibt die Macht der Auferstehung des gekreuzigten Christus. Das sind die Zeichen, die Gott uns täglich anbietet – und es braucht keine außergewöhnlichen Botschaften und Mirakel. Die Offenheit für Gottes Wort und das Vertrauen in seine Macht über Leben und Tod formen unser Herz und retten uns.
Aber da gibt es immer noch die Frage nach einem „gerechten Ausgleich“, nach einer „ausgleichenden Gerechtigkeit im Jenseits“. Dieser Wunsch steckt in vielen Menschen – vor allem dann, wenn man im Leben nur benachteiligt oder erbarmungslos behandelt wurde. Es ist richtig, darauf zu vertrauen, das die Leidenden, Armen und Gequälten einen guten Platz in der weiten Liebe Gottes finden, dass Barmherzigkeit und Gerechtigkeit gültig bleiben über die irdische Zeit hinaus. Aber diese „ausgleichende Gerechtigkeit“ darf doch nicht so verstanden werden, dass Gott bloß die Verhältnisse umdreht – etwa in dem Sinne, dass der Reiche arm und der Arme reich wird. Diese simple Umkehrung macht Gott nicht mit. ER schafft Neues.
Am Tisch des Reiches Gottes werden alle satt; dort gibt es das Leben in Fülle für alle. Mit dem Glauben an Gott verbindet Jesus den Gedanken einer universalen Solidarität. Diese Universalität des Heils leuchtet immer in der Botschaft Jesu auf und bedeutet nicht nur, dass Menschen aus allen Völkern gerettet werden, sondern Sünder gleicherweise wie Gerechte. – Aber es gibt Menschen, die diese Fülle nicht mit anderen teilen wollen, für die es Horror ist, mit anderen an diesem einen Tisch des Lebens zu sitzen. Ob man darunter nur die sogenannten „Sünder“ suchen muss – oder nicht auch die sogenannten „Frommen“ und „Guten“?
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