Erfüllte Zeit

01. 11. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Selig die vor Gott arm sind… - Die Rede von der wahren Gerechtigkeit“ (Matthäus 5, 1 – 12a)

von Regens Nikolaus Krasa

 

 

Haben Sie schon mal überlegt, was das heißt, selig? Wie würden Sie dieses Wort erklären, ganz einfach, in einem Satz vielleicht?

 

Wohl denen, die vor Gott arm sind – so hieß es einige Zeit in der Vorläuferversion unser jetzigen Einheitsübersetzung. Wohl anstelle von selig. Wahrscheinlich wollte man bewusst ein anderes Wort verwenden, um den Leser und Hörer zum Zuhören zu bewegen. Allein die Wohligkeiten haben sich nicht durchgesetzt, sie haben’s selber vor kurzem gehört, wir sind wieder bei den Seligpreisungen angekommen.

 

Was also heißt dieses Wort „selig“ und warum reicht „wohl“ nicht aus? Warum haben wir heute „Seligpreisungen“ gehört und keine „Wohligkeiten“? Ich lade Sie also ein, mit mir eine kleine Entdeckungsreise zu machen. Eine Entdeckungsreise, die dem Wort selig nachgeht. Denn immerhin kam es ja praktisch in jedem Satz unseres heutigen Evangeliums vor. Gerade in der Einleitung nicht, aber dann neun Mal. Auf also, zur Entdeckungsreise.

 

Der erste Schritt dieser Reise geht in den Originaltext. Das griechische Wort, das Lukas hier verwendet heißt makarios. Und es hat eine lange Geschichte, ist älter als das Neue Testament. So finden wir es zum Beispiel schon bei Homer. Nun bezeichnet mit makarios meistens das Leben der Götter. Ihr Leben – ohne die Mühsal von Sorge, Arbeit und Tod – ist makarios, ist selig. Der griechische Philosoph Aristoteles meinte sogar, dass nur die Götter vollkommene Glückseligkeit haben, (eben makarios sind), den Menschen kommt nur eudaimonia (Glück – nachschauen) zu. Ähnlich denkt der jüdische Philosoph der Zeitenwende, Philo von Alexandrien. Glückseligkeit, sagt er, (eben makarios) kommt nur Gott zu, Menschen erhalten an diesem Zustand Anteil, dort wo die göttliche Sphäre in die Schöpfung hineinragt Was bedeutet das für uns, auf unserer Entdeckungsreise hinein in die Bedeutung des Wortes makarios, selig? Offenbar ist für das griechische Sprachgefühl Makarios ein gelungenes, erfülltes, durch nichts mehr gefährdetes Leben, eines das eigentlich schon mit Vollendung zu tun hat….

 

Ein zweiter Schritt auf unserem Entdeckungsweg. Auch die biblische Tradition kennt das Wort makarios. Auffallend häufig wird es in den Psalmen, im großen Meditations- und Gebetsbuch der Bibel verwendet. Ja es eröffnet sogar im ersten Vers des ersten Psalms dieses Buch. Dort steht eine Seligpreisung, die fast so klingt und aufgebaut ist, wie die bei Matthäus. Sie ist nur etwas länger ausgefaltet. Jemand wird für ein Verhalten selig gepriesen, ihm dann dafür etwas versprochen. Und so klingt das im 1. Psalm: Selig der Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt, / nicht auf dem Weg der Sünder geht, nicht im Kreis der Spötter sitzt,  2 sondern Freude hat an der Weisung des Herrn, über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht.  3 Er ist wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken. Alles, was er tut, wird ihm gut gelingen. Zusammengefasst: Selig gepriesen (aschrei, heißt übrigens das hebräische Wort), wird, wer Freude am Gesetz Gottes hat, an der Bibel, verheißen wird ihm, dass sein Leben gut verwurzelt ist und dass ihm die Lebenskraft (im Bild das Wasser) nicht ausgehen wird. Wer Gott in seinem Gesetz sucht, der ist selig, weil er Kraft für sein Leben erhält.

 

Ähnlich also wie im griechischen Sprachbereich hat selig hier etwas mit gelungenem Leben zu tun und geht nur dort, wo Menschen sich auf Gott einlassen. In der Sprache des heutigen Evangeliums deutlich in der ersten und achten Seligpreisung, im Wort Himmelreich, ausgedrückt: denn ihnen gehört das Himmelreich.

 

Aber zurück zu unserem zweiten Schritt. Das Buch der Psalmen meditiert, reflektiert, betrachtet die Torah, die Weisung Gottes, ja der Beter soll sie Tag und Nacht meditieren. So hat es ja in Psalm 1 geheißen. Das geschieht in diesem Buch in fünf Untereinheiten. An seinem Beginn steht eine Seligpreisung. Matthäus gliedert in seinem Evangelium die Reden Jesu in fünf Einheiten. Die erste große Einheit ist die Bergpredigt. An ihrem Beginn stehen die Seligpreisungen. Wie leben, wie das Leben gestalten im Blick auf Gottes Gegenwart (das Himmelreich, wie das bei Matthäus heißt). Wie das Leben gestalten, dass es gelingt. Und zwar in seiner Fülle (nicht umsonst sind es 8 Seligpreisungen, 8 die Zahl der Vollendung, bevor eine 9., anders formulierte, den Blick direkt auf Zuhörer wendet: selig seid ihr…) Gerade diese letzte Seligpreisung hilft noch besser verstehen, was mit makarios, selig gemeint sein kann. Denn sie faltet aus: freut euch und jubelt. Innere und äußere Freude prägen das Selig sein.

 

Freude und Jubel, als spürbare Konsequenz von makarios sein, von der göttlichen Lebensform des Selig seins. Wer sich in seinem Leben auf Gott einlässt, ihn sucht, der erfährt jetzt schon etwas von jener Fülle des Lebens, von jener Vollendung des Lebens, die bei Gott ist.