Erfüllte Zeit

02. 12. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Vom Kommen des Menschensohnes“

(Matthäus 24, 29 – 44)

von Pfarrer Christian Öhler

 

 

Im Jahr 1985 hat der damalige Voest-Pfarrer Hans Innerlohinger bei meiner Primiz die Predigt gehalten. „Ich glaube“, hat er gesagt, „du wirst im Jahr 2000, wenn sicher die Weltuntergangspropheten in Hülle und Fülle auftreten werden, die Gemeinde im Glauben beruhigen müssen.“ Dieser Satz kommt mir oft in den Sinn. Denn genau so ist es gekommen. Die Weltuntergangspropheten haben Hochkonjunktur. Und es ist keine Abschwächung in Sicht.

 

Einmal ist es das Weltfinanzsystem, das in Bälde zusammenkrachen wird, dann wird der Aufstand der Jungen gegen die Alten vorausgesagt, die Klimakatastrophe ist ein Dauerbrenner und „das Böse ist immer und überall“. Sie erinnern sich an dieses Lied? Es wurde vor 20 Jahren von einer Band mit dem bezeichnenden Namen „Erste Allgemeine Verunsicherung“ komponiert.

 

Allgemeine Verunsicherung – so stelle ich mir die Stimmung unter den Menschen vor, für die Matthäus sein Evangelium geschrieben hat. Es waren Juden, die sich zu Jesus bekannt haben. Das Jahr 70 ist vielen von ihnen in schrecklicher Erinnerung geblieben: Jerusalem von römischen Soldaten gestürmt, der prächtige Tempel zerstört. König Herodes hatte die Anlage ein paar Jahrzehnte zuvor noch groß ausbauen lassen. Gerade einmal die Westmauer ist übrig geblieben, als „Klagemauer“ steht sie bis heute im Zentrum der jüdischen Religion.

 

Das Chaos ist zurückgekehrt und die Aussichten sind düster. Das bedeuten die apokalyptischen Bilder von der sich verfinsternden Sonne und vom Mond, der nicht mehr scheint. An den Konstellationen am nächtlichen Himmel orientieren sich die Reisenden. Wenn die Sterne vom Himmel fallen, verlieren sie die Orientierung und verirren sich hoffnungslos.

 

Ein unübersichtliches Durcheinander und düstere Zukunftsperspektiven haben wir Heutigen mit den Judenchristen, für die Matthäus damals geschrieben hat, gemeinsam. Das Eis ist ziemlich dünn geworden, auf dem wir uns bewegen. Auch wenn die allermeisten Zeitgenossen immer noch die Augen fest geschlossen halten und so tun, als wäre der Untergrund sicher und wir könnten fortfahren wie gewohnt. Auch das ist eine Konstante in der Menschheitsgeschichte seit „den Tagen des Noach“.

 

Der Mainstream verfolgt eine ökonomische Strategie. „Fiat commercium – pereat mundus“. Geschäfte müssen gemacht werden, mag darüber die Welt auch zugrunde gehen.

Wegen der dramatischen Kreditkrise ist beispielsweise das Weihnachtsgeschäft in den USA heuer wichtiger denn je. „Alle hoffen auf den Weihnachtsmann“, entnehme ich dem Wirtschaftsteil meiner Tageszeitung. Ein ungebrochenes Vertrauen in technisch-wissenschaftliche Fortschritte geht gut damit zusammen. Den Welthunger bekämpfen wir nicht mit Reformen, sondern durch die biogenetische Optimierung von Nahrungsmitteln.

 

Der Journalist Alan Weisman teilt diesen Zukunftsoptimismus nicht und entwirft eine Welt, aus der die Menschen verschwunden sind. Das lesenswerte Buch widmet er seiner Frau – und zwar wörtlich - „in unvergänglicher Liebe aus einer Welt ohne dich“. Was aber gibt ihm die Gewissheit, dass die Liebe zu seiner Frau unvergänglich ist? Dass nicht auch die Liebe zusammen mit dem letzten Menschen von der Erde verschwindet?

 

Kein Mensch kann diese Frage von sich aus beantworten, weil jeder Mensch endlich ist, diese Frage aber aufs Ganze geht. Matthäus verweist uns im Evangelium auf ein Zeichen, das am Himmel erscheint. Wenn er vom Himmel spricht, meint er nicht das Firmament über uns, sondern den göttlichen Bereich. Von dort kommt der  Menschensohn. Von außerhalb unserer geschlossenen Systeme, die allesamt einen Anfang, aber auch ein Ende haben. In seinem ersten Kommen hat er, Jesus, der Menschensohn, uns gezeigt, was ein Mensch sein könnte. In seinem zweiten Kommen werden wir sichtbar empfangen, was wir in unserem tiefsten Inneren ersehnen, unvergängliche Liebe.

 

Im Advent leben Christen wieder bewusster mit dem Blick zum Himmel und wacher in der Gegenwart. Das wird zwar meine Gemeinde nicht beruhigen, wie sichs mein Primizprediger gewünscht hat, aber es erfüllt mit Hoffnung. Schon wieder etwas so schwer in Worte Fassbares, das wir uns nicht selber geben können, das aber unaufgebbar ist, weil wir ohne sie, ohne Hoffnung, ohne Zuversicht allzu schnell in Panik verfallen oder resignieren würden. Angesichts von Zukunftsprognosen, die wahrlich erschreckend sind.