Erfüllte Zeit

16. 12. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Frage des Täufers“

(Matthäus 11, 2 – 11)

von Regina Polak

 

 

Johannes ist im Gefängnis. Er, der unter den Menschen der Größte ist und dennoch noch immer der Kleinste im Himmelreich, hat es gewagt, den König zu kritisieren. Er wird einen hohen Preis für sein prophetisches Wirken zahlen: Er wird ermordet werden.

 

Der Jesuit und Theologe, Gegner und Opfer des Nationalsozialismus Alfred Delp hat in einer Auslegung zum zweiten Adventsonntag über die Person des Johannes nachgedacht. Delp schreibt: Zwei Gesetze stellt Johannes auf und zwei Gefahren:

 

Das erste Gesetz und die erste Gefahr lauten: Wenn der machtlose Prophet vor dem mächtigen König steht, darf dennoch keine Rücksicht auf private Sicherheit und private Existenz den Menschen zum unechten Menschen machen. Der echte Mensch, das ist bei Delp jener, der die Hand von allem Halben lässt, eindeutig und kompromisslos ist und sich nicht hinter Masken und Posen, heute würde man sagen Selbstinszenierungen, versteckt. Der echte Mensch verkauft sich nicht, er ist der, der er ist. Er spricht weder zweideutig noch vorsichtig, auch nicht getarnt, strategisch oder absichtlich falsch. Sein Satz ist ein Satz, sein Wort ein Wort, eine Tatsache eine Tatsache. Nur der echte Mensch besteht vor Gott.

 

Das zweite Gesetz und die zweite Gefahr bei Delp:  Keine Aussichtslosigkeit, keine Erfolglosigkeit entbindet den Menschen davon, zu sagen, was ist, und zu sagen, was falsch ist, einzutreten für das, was richtig ist. Wer sein Handeln und sein Engagement vom Erfolg abhängig macht, ist schon verdorben.

 

Johannes war echt – und mutig: Er hat gewusst, dass er sterben wird, wenn er den König kritisiert. Und er wusste, dass er erfolglos bleiben würde, wenn er den Familienskandal des Herodes öffentlich ansprechen würde.

 

Das sind radikale, beängstigende Auslegungsworte. Sie erinnern an den Preis, den der Weg des Glaubens haben kann – nicht zuletzt, wenn sie von einem Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus gesprochen werden, der seine Echtheit mit dem Leben bezahlt hat.

 

Freilich sind diese Worte auch gefährlich, weil missverständlich und instrumentalisierbar. Es gibt ja auch eine Art von Kompromisslosigkeit  - nicht selten sich für besonders religiös haltender Menschen – die sich selbst zum Propheten ernennen und deren Kompromisslosigkeit gottfern, weil hart, unbarmherzig und gewalttätig ist. Auch selbst ernannte Propheten können sich für echt halten -  und ihre persönlichen Interessen mit dem Willen Gottes verwechseln. Sie können die Aufforderung, das Richtige zu sagen, auf Halbheiten keine Rücksicht zu nehmen, fundamentalistisch missverstehen und sich selbst zum Richter über Gut und Böse machen.

 

Es braucht also Kriterien: Woran erkennt man den echten Propheten? In einer Zeit wie der unsrigen, wo sich die Fragen nach gut und böse, wahr und falsch nicht mehr so ohne weiteres mit schwarz und weiß beantworten lassen; nicht, weil die Menschen allesamt Relativistinnen wären, sondern weil die ethischen Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, komplex sind. In einer Zeit, in der wir um die Geschichtlichkeit und  Perspektivität von Wahrheit wissen, die Kontextualität von moralischen Normen, um die Vieldeutigkeit von Wirklichkeit – wie kann man da „echte“ Propheten und Prophetinnen erkennen, das „wahre“ Wort vom „falschen“ unterscheiden?

 

Johannes lässt uns Kriterien erkennen: Er ist bereit, mit dem Preis seines Leben zu bezahlen für das, was er für wahr hält. Aber: Er weiß, dass nicht er selbst der Maßstab, die Richtschnur für solche Wahrheit ist. Er weiß, dass er auf jemanden wartet, auf den Erlöser, der zeigt, woran man Gottes Präsenz erkennen kann: Er versteht sich als Vor-läufer, als Hin-weiser auf den Größeren, den man an konkreten Zeichen erkennen kann: auf Jesus. Solche Zeichen sind Praxis:

 

Jesus gibt Hinweise: „Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium verkündet.“

 

Daran können wir auch heute erkennen, ob Gottes Geist wirkt – oder der Kleingeist und Eigensinn des Menschen: Wenn Menschen heilen – an Leib, Geist und Seele, geschieht Wahrheit. Wenn die blinden Augen wieder sehen können, wie schön die Welt sein kann. Wenn die tauben Ohren wieder hören können, wie die Welt zu ihnen spricht. Wenn die Lähmungen aufhören, Menschen wieder aufatmen und weiterleben können. Dann ereignet sich Wahrheit. Dann werden Menschen fähig, Gesellschaft  aus der Sicht all jener zu sehen und zu gestalten, die noch „arm“ sind. Sie sehen jene, die nicht teilhaben können an den materiellen und geistigen Ressourcen. Sie hören jene, die benachteiligt sind, keine Lobby haben, zu schwach, zu jung, zu fremd sind: die Kinder, die Jugendlichen, die Kranken und Leidenden, die Obdachlosen, die Migrantinnen und Migranten, die Mittellosen. Sie erkennen, dass auch jene „Reichen“ „arm“ sind, deren Herzen noch blind, deren Seelen noch taub sind für die Armen. Wenn das geschieht und das Evangelium den Armen verkündet wird – in Wort und Tat – vollzieht sich Wahrheit.

 

Wenn moderne Propheten wissen, sie warten und verweisen auf den je Größeren, auf Gott; wenn sie sich in ihrer Echtheit für solche Praxis einsetzen – ohne an Jesus Anstoß zu nehmen: Dann wissen wir: Gott ist nahe! Wenn das kein Grund zur Freude ist!