Erfüllte Zeit

26. 12. 2007, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Aufforderung zu furchtlosem Bekenntnis“ (Matthäus 10, 17 – 22)
von Regina Polak

 

 

Mit der Geburt Jesu beginnt eine neue Zeit, erreicht die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen einen Höhepunkt. Unwiderruflich und ein für alle Mal besiegelt ist nun die Zusage, dass Gott seine Menschen liebt und untrennbar mit ihnen verbunden ist. Sichtbar wird nun die Verheißung, dass das Reich Gottes  - Gerechtigkeit und Friede, Freiheit und Liebe – auf uns zukommt, im Ankommen ist - schon hier und jetzt und heute – und morgen noch mehr.

Mit der Geburt Jesu beginnt damit nicht automatisch schon eine Zeit dauerhaften Glückes, ist ein Happyend auf Erden nach wie vor nicht garantiert, bricht auch keine weihnachtliche Idylle aus. Jetzt wird es erst recht schwierig – und die Festtage nach Weihnachten erinnern daran. An Stephanus, den ersten Märtyrer, wird am 26. Dezember erinnert; am 28. Dezember gedenken wir der Erzählung des Kindermordes in Bethlehem. Mit der Geburt Jesu nimmt die Gewalt nicht sofort ein Ende; es sieht aus, als würde das Böse noch mal alle Kräfte sammeln, um die Realisierung des Gottesreiches zu verhindern und unseren Glauben daran zu zerstören – und das geschieht bis heute.

Das Evangelium des heutigen Feiertages schildert die Erfahrung der jungen Kirche: Christen und Christinnen wurden aufgrund ihres Glaubens verfolgt, vor Gericht gebracht, ermordet. Viele der ersten Jesus-Nachfolgerinnen zahlten für ihren Glauben an eine neue Lebenspraxis, eine neue Wahrnehmung der Wirklichkeit: dass in Jesus Christus Gott bei den Menschen angekommen ist – mit ihrem Leben. Die Geschichte der Kirche ist voll mit Zeugen und Zeuginnen, die um ihres Glaubens Willens verfolgt und ermordet wurden; auch heute noch werden weltweit Christen und Christinnen verfolgt.

In Europa, wo die christlichen Kirchen jahrhundertelang  - wohl zuviel - politische, kulturelle, religiöse Macht innehatten und die Gesellschaften dominierten, war es nicht nur nicht gefährlich, Christ zu sein – es war gefährlich, kein Christ zu sein. In Europa, wo – hart errungen und unhintergehbar - Religionsfreiheit gesichert ist, kann jeder nach seiner Facon versuchen, glücklich zu werden und den Glauben haben, den er für richtig erachtet. So haben viele Christen und Christinnen vergessen, dass Jesus-Nachfolge einen hohen Preis haben und gefährlich sein kann. Zum Fest des Heiligen Stephanus werden wir daran erinnert.

Das bedeutet nicht, dass Christen und Christinnen kritisiert, verfolgt oder gar Märtyrer werden müssen, um ihren Glauben zu beweisen. Auch ist nicht jede Kritik oder Anfechtung von Glaube oder Kirche bereits ein feindlicher Angriff. Weder Kritik, noch die Forderung nach Rechtfertigung und nicht einmal Feindschaft gegenüber dem christlichen Glauben sind automatisch eine Bestätigung der eigenen Rechtgläubigkeit. Auch Christen können irren und ihre Kritiker im Recht sein.

Vielmehr ist sorgsam zu überprüfen, ob, wo und wie sich denn tatsächlich Phänomene, Realitäten, Gegner finden lassen, die das Evangelium Jesu Christi in Frage stellen und bedrohen:

Wo jene Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, die in Jesu Leben und Handeln als von Gott erfahrbar werden, mit Füssen getreten werden; im Leben Einzelner, aber auch in der Gesellschaft, in der Politik, in der Wirtschaft

Wo die Liebe verraten, die Hoffnung zerstört, das Glauben unmöglich gemacht wird und sich stattdessen Hass und Gewalt, Resignation und Verzweiflung, Misstrauen und Angst ausbreiten

Wo Menschen ihre Freiheit verlieren: durch Armut, durch einschränkende Lebensbedingungen; durch Gesellschaftsstrukturen, die ein Leben in Fülle erschweren oder nicht alle teilhaben lassen; durch Ideologien, die Teilinteressen für absolut erklären und den Horizont des Fragens und Denkens einschränken.

Überall, wo Menschen, Institutionen, Strukturen verhindern, dass das Reich Gottes wachsen und für alle wahrnehmbar werden kann, sind Christinnen angehalten, Einspruch zu erheben und Widerstand zu leisten – allem voran, indem sie zeigen, wie man mit Gott leben kann. Nur dann wird die Verkündigung des Evangeliums glaubwürdig. Dass solche evangeliumsgemäße Praxis Kritik und Feindschaft bei anderen auslösen kann, das hat schon die junge Kirche erfahren, wenn sie sich um die Ärmsten der Gesellschaft gekümmert oder sich geweigert hat, die offiziell anerkannten Götter und Heiligtümer zu verehren.

Solches kann auch Christen und Christinnen in Europa 2007 widerfahren, wenn sie sich für Migrantinnen und Migranten einsetzen oder für jene, die selbstverschuldet in Armut geraten sind; wenn sie nicht die Gewinner der Gesellschaft bejubeln, sondern sich um ihre Verlierer sorgen und für sie einsetzen; wenn sie sich weigern zu glauben, dass Wirtschaftswachstum und  Wohlstand die einzigen Ziele im Leben sein können, für die es sich zu leben und zu arbeiten lohnt und eine neue, andere Art suchen, mit Geld und Besitz umzugehen; wenn sie trotz allen Leides, entgegen aller Gewalt, das für viele so augenscheinlich gegen Gottes Präsenz zu sprechen scheint, die Hoffnung auf Gottes Verheißung einer neuen, besseren Welt nicht aufgeben und ihn in Wort und Tat bezeugen - auch wenn ihnen die Argumente ausgehen und sie belächelt werden.

Was verheißt das Evangelium von heute jenen Christinnen und Christen, die aufgrund ihrer alternativen evangeliumsgemäßen Lebenspraxis und ihrer Glaubensüberzeugungen ins Kreuzfeuer der Kritik geraten? Es verheißt nicht, dass es keine Probleme geben und alles gut ausgehen wird. Aber es verheißt, dass der Geist Gottes da sein wird, wenn es darum geht, Rede und Antwort zu stehen, warum man christlich glaubt und lebt. Wer sich auf Gott verlässt, dem wachsen in den entscheidenden, schwierigen Anfechtungen des Lebens und Glaubens die richtigen Worte, die guten Lösungen zu – er muss und kann das auch gar nicht planen. Das bedeutet weder, dass man sich naiv und arglos in Schwierigkeiten stürzen soll – noch dass die Konflikte gut ausgehen müssen. Man kann trotzdem scheitern, wenn die Anderen nicht hören oder annehmen wollen. Aber es bedeutet, dass man, wenn man in diesen schwierigen Situationen offen und präsent ist für das, was sich zeigt, vom Geist Gottes begleitet sein wird. Dass man dann wissen wird, was zu tun und wie zu sprechen ist. Standhaft zu sein bedeutet dann nicht, trotzig und stur den Glauben zu verteidigen, sondern zu glauben, dass auch in den schärfsten Konflikten, den heftigsten Anfeindungen, der größten Bedrohung Angst, Schmerz, Leiden, Gewalt und Tod nicht das letzte Wort haben werden. Dann verliert man auch in solchen Situationen die Liebe nicht, beantwortet Gewalt nicht mit Gegengewalt und kann wie Stephanus im Moment der Steinigung den Himmel offen sehen.