Erfüllte Zeit

01. 01. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Geburt Jesu“ (Lukas 2, 16 – 21)

von Pater Gustav Schörghofer SJ

 

 

Kirchlich gesehen ist der erste Tag des Neuen Jahres ein ziemlich dicker Brocken. Da wird viel gefeiert: Oktavtag von Weihnachten, Hochfest der Gottesmutter Maria und der Namensgebung Jesu. Wir Jesuiten feiern auch das Titularfest der Gesellschaft Jesu, gewissermaßen den Namenstag unseres Ordens. Ein ziemlicher Wirbel also.

 

Umso einfacher und schlichter geht es im heutigen Evangelium zu. Da ist von Hirten die Rede, von Maria und Josef und dem Kind, vom Erzählen und Hören, vom Staunen, vom Bewahren und Nachdenken, vom Preisen, schließlich von Beschneidung und Namensgebung. Nichts Besonderes, möchte man meinen. Aber eigentlich ein schöner Weltentwurf, ein wirklich schöner Weltentwurf. Denn was will ich mehr als hellhörig sein, mich auf den Weg machen, entdecken, erzählen, staunen, bewahren, nachdenken, zurückkehren, preisen und dem Neuen, das mir klein und unscheinbar geschenkt ist, einen Namen geben. So hat es damals angefangen, und so fängt es immer wieder an.

 

Natürlich stellen wir uns vor, dass, je bedeutender ein Ereignis ist, auch der Wirbel umso größer sein müsse. Undenkbar, dass der Papst nach Österreich kommt, im Gästebett des bescheidenen Hauses eines Landpfarrers übernachtet und nur von einigen aufmerksamen kleinen Weinbauern entdeckt wird. Da gäbe es gleich einen Wirbel, die Bischöfe würden in ihren Autos anrücken und das Fernsehen die Heimkehr des Verlorenen groß feiern. Die Großen haben es heute nicht leicht, haben es nie leicht gehabt. Denn eine Größe, die nicht im Wesentlichen ganz klein ist, hat nicht Bestand, bleibt leer. Vor mir auf dem Fensterbrett keimen zwei Nussbäume. Die zarten Triebe haben die Schalen gesprengt und wachsen hoch, entfalten sich. Bei einem gibt es schon Blätter. Oft bin ich als Kind in einem Nussbaum geklettert. Oft habe ich später die mächtigen Bäume bewundert. Und habe bewundert, was aus dem herrlichen Holz des Stammes geschaffen wurde. Hervorgegangen ist das alles aus dem Kleinen. Und wenn es nicht immer aus dem Kleinen erneuert wird, zerfällt alles Große. 

 

Was im Leben der Bäume gilt, gilt auch im Leben des Geistes. Ich muss mich doch manchmal fragen: Wie sieht es aus mit meinem Weltentwurf? Wie stelle ich mir mein Leben vor? Was ist mir wichtig? Und wie ich es im Kleinen wünsche, erstrebe, ersehne, so wird es im Großen werden. Ich bin für meine Wünsche verantwortlich. Denn die Gestalt meines Lebens ist, mehr als ich es ahne, das Ergebnis meiner geheimsten Wünsche. Es kommt alles zum Vorschein. Alles tritt in Erscheinung.

 

Habe ich den Mut, habe ich die Sehnsucht, mir meinen Gott ganz klein zu wünschen? Sehne ich mich nach einem Gott, der für mich klein wird, der aus Sehnsucht nach mir Mensch wird, ein Kind? Sehne ich mich danach, diesem Gott im Kleinen zu begegnen? Im Kleinen, das ich selber bin. Mich hinzutasten zu meinen Ursprüngen, den Anfängen von allem. Der Beginn des Neuen Jahres wäre eine gute Gelegenheit, mir diese Fragen wieder einmal zu stellen. Denn bei allem Vorwärtsstreben, allem Aufwärtsdrang vergesse ich zu rasch, dass aus alledem nichts wird, wenn ich nicht immer neu beginne. Meine wichtigste Tätigkeit ist, mir den Zugang zu meinen Anfängen offen zu halten.

 

Das Evangelium des heutigen Tags führt mich zu diesen Anfängen zurück. Zum Anfang im Suchen und Finden, im Sehen und Erzählen, im Hören und Staunen, im Bewahren und Bedenken, in der Erinnerung und im Lobpreis. Dort ist es zu finden, das Kleine, dessen Name auf etwas Großes weist: Jesus, das heißt Jahwe ist Heil. Ein Keim, der alles Große einer Zukunft in sich trägt. Dieses Kleine weist mir den Weg zurück zu mir selbst, zu dem Kind, mit dem bei mir alles begonnen hat und immer wieder beginnt.

 

Von dem spanischen Dichter Juan Ramóm Jiménez gibt es ein wunderbares Gedicht: LAUF´ NICHT, GEH´ LANGSAM: / Du musst nur auf dich zugehn! / Geh´ langsam, lauf´ nicht, / denn das Kind deines Ich, das ewig / neugeborene, / kann dir nicht folgen!

 

Das Kind meines Ich. Meinen Gott im Kind, das heute einen Namen bekommt. Heute kann ich das neu entdecken.