Erfüllte Zeit

13. 01. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Gerechtigkeit tun – Die Taufe Jesu (Matthäus 3, 13 – 17)

von Helga Kohler-Spiegel

 

 

Die Taufe Jesu ist keine einfache Geschichte. Erfassen, was wir noch nicht erfassen können, ist schwierig. In Worten und Bildern unserer Erfahrung versucht Matthäus auszudrücken, was unsere Worte übersteigt: Dieser Mensch Jesus ist herausgehoben und in besonderer Beziehung zu Gott, in ihm wird Gott selbst sichtbar. Zugleich ist er ein Mensch, der gerecht ist. Jesus erfüllt, er verwirklicht die Gerechtigkeit, er erfüllt die Tora, er erfüllt den Willen Gottes. Die Jüngerinnen und Jünger, wir Menschen können die Gerechtigkeit tun, wir werden sie nie ganz erfüllen. Und es ist sicher kein Zufall, dass in dieser Szene die ersten Worte Jesu im Evangelium fallen.

 

An drei markanten Punkten auf Jesu Weg überliefern die Evangelien diese Zusage Gottes: Bei der Taufe am Jordan, am Beginn des öffentlichen Auftretens Jesu (Mt 3, 17), in der Mitte des Weges, bei der Verklärung Jesu (Mt 17, 1 - 9) und am Kreuz, als alles gescheitert und zu Ende scheint (Mt 27, 54). Jedes Mal geht es um die Frage, wer denn dieser Jesus ist, es geht um die Frage nach seiner Identität. Um zu verstehen, wer wir selbst sind, brauchen wir andere Menschen. Wir brauchen Menschen, die uns Rückmeldung geben, die uns sagen, wer wir in ihren Augen sind. Hier am Beginn des Weges Jesu erlebt Jesus seine Sendung, seinen Auftrag: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen fand“, die Worte sind bei Matthäus nicht an Jesus selbst gerichtet, sondern an die Menschen, an die Gemeinde, an alle, die es hören wollen. Jesu Auftrag ist, geliebter Sohn zu sein, mit Gottes Geist, mit Gottes Kraft und Weisheit begabt. Diese Zusage wird dann im Verlauf des Weges Jesu schwierig: Jesus ist ausgesetzt mit seiner Botschaft, er findet Zustimmung und Ablehnung, die Konflikte nehmen zu und die Jünger verstehen ihn nur sehr schwer...

 

Von Beginn an sind die Wege von Johannes und Jesus miteinander verbunden. Bei Lukas stehen bereits ihre Mütter in enger Beziehung, die zu alte Elisabeth und die zu junge Maria erwarten beide ein Kind. Hier, bei Matthäus, taucht Johannes der Täufer vor dem Auftreten Jesu auf, diese schillernde Person, der Prophet, der zum Umkehr ruft und diese Umkehr auf radikale Weise lebt. Durch das Gericht hindurch, so lautet seine Botschaft, wird die Veränderung geschehen. Durch den „Zorn Gottes“, wie wir die Rede vom „Gericht Gottes“ wörtlich übersetzen müssen. Vielleicht hören Sie im inneren Ohr auch die Klänge von „Dies irae“ aus Mozarts Requiem – so gewaltig, so bewegend ist die Predigt des Johannes am Jordan wohl auch zu denken.

 

In dieser Atmosphäre setzt die Taufe Jesu ein, es ist keine Beschreibung, sondern eine Vision: „Der Himmel öffnete sich und er sah…“ – vielleicht ist auch das wichtig: Es ist uns nicht gesagt, was da wie genau war, sondern es ist uns überliefert, dass Jesus erlebte, was später auch von Stephanus in der Apostelgeschichte erzählt wird: Ich sehe den Himmel offen. Ein berührendes Bild – bei so vielem, was uns Menschen im Leben beschäftigt: es gibt die Momente, in denen der Himmel offen ist, in denen wir eine Dimension erahnen und erleben, die im Alltag so nicht erfahrbar ist. Es gibt die Momente, in denen der Himmel offen ist. Wahrscheinlich sind es die Momente, in denen Menschen gesehen und berührt werden, in denen Menschen sich zu verändern wagen, in denen sie etwas angstfreier sind, wie der Himmel – offener.

 

Später dann – im Verlauf des Evangeliums – wird Johannes, als er bereits im Gefängnis ist, von den Taten Jesu hören, so überliefert das Matthäus-Evangelium. Er wird über seine Jünger nachfragen lassen, ob Jesus der erwartete Messias ist - als wäre Johannes nochmals verunsichert, wer Jesus ist. Umgekehrt werden die Menschen auf Jesu Frage, für wen er gehalten wird, antworten: Vielleicht Johannes der Täufer… Und als Jesus erfährt, dass Johannes von Herodes ermordet wurde, heißt es: „Als Jesus all das (von der Ermordung) hörte, fuhr er mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein.“ (Mt 14, 13) Dennoch, die Hierarchie zwischen den beiden ist klar, Jesu Vorrangstellung ist unbestritten.

 

Warum aber lässt sich Jesus taufen? Im Nachdenken über die Göttlichkeit Jesu hat diese Frage Theologen in allen Jahrhunderten beschäftigt. Der Text selbst öffnet ein anderes Bild: Jesus, der geliebte Sohn, ist der Gehorsame, der auf Gottes Wort hört, der „gerecht“ ist, also den Weisungen der Tora, der hebräischen Bibel folgt. Die Seligpreisungen klingen schon an, sie sind hier schon vorweggenommen: Wer der Botschaft Gottes folgt, wer keine Gewalt anwendet, wer Frieden stiftet, wer sogar den Feind liebt, ist Sohn oder Tochter Gottes. Selig seid ihr, die ihr hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, selig seid ihr, die Frieden stiften… - denn sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden. Vor dem Leiden und Sterben Jesu wird nochmals daran erinnert (Mt 25): Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war krank und ihr habt mich besucht, ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen… - und die Gerechten werden fragen, wann sie das getan haben, und dann wird die Antwort lauten: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25, 40)

 

Gerechtigkeit – das Wort, das in der Bibel so bedeutsam ist, wird zum zentralen Erkennungsmerkmal Jesu und zum Erkennungszeichen derer, die sich auf Jesus berufen. Tun, was „gerecht“ ist, heißt, sich an Jesu Verhalten zu orientieren und zu handeln wie er. Denn Gott ist gerecht, und indem Jesus „alle Gerechtigkeit erfüllt“, ist er „wie Gott“. Und genau darin können Menschen Jesus „nachzufolgen“. Matthäus lässt sich zusammenfassen auf einen Satz: „die Gerechtigkeit tun“ – egal an welchem Platz auf dieser Welt, egal in welcher Situation… - mehr Regeln gibt es eigentlich nicht. Die Gerechtigkeit tun – das ist die Zusammenfassung, das ist die Zumutung des christlichen Glaubens.