Erfüllte Zeit

24. 02. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Gespräch am Jakobsbrunnen“ (Johannes 4, 5 – 42)

von Hans-Peter Premur

 

 

Ein Jahr vor meiner Priesterweihe hatte ich die Gelegenheit, mehrere Monate in Indien zu verbringen. Einerseits war diese Zeit eine Studienreise, andererseits wollte ich die Lebensentscheidung, Priester zu werden in Ruhe und unabhängig von meinem gewohnten Umfeld überdenken. Ich suchte deshalb einen christlichen Ashram (eine Klostergemeinschaft in indischem Stil), die über die Zeit von Weihnachten einen Platz hat. Im Norden des Landes auf den Vorbergen des Himalayas, so hörte ich, haben zwei englische Nonnen mit dem Bischof der dortigen Diözese gemeinsam so einen interreligiösen Ashram gegründet. Dieser war bekannt dafür, Exerzitien zu geben oder auch Einsiedeleien zur Verfügung zu stellen, die alleine in die Tiefe gehen wollen. Da es gerade Winter war und die Klosterbelegschaft in die wärmeren Gefilde nach Süden ziehen wollte, war man recht froh darüber, einen Einsiedler wie mich dort zu haben, wenn gerade sonst niemand da war. Direkt auf einer Bergkuppe, die Kette der 8000er vor den Augen, stand meine kleine Hütte, in der ich sechs Wochen alleine lebte. Im großen Gemeinschaftshaus, das zu dieser Zeit leer stand, konnte ich täglich in der Kapelle meditieren. Das große Altarbild dort zeigte einen weißgewandeten Christus im Lotossitz. Aus seinem Herzen strömte ein Wasserfall, so wie man ihn auch manchmal bei den Quellen des Ganges sehen konnte. Jeevan Dharaashram war der Name des Klosters, zu Deutsch „Ort zum lebendigen Wasser“.

 

Ich erzähle Ihnen diese Geschichte, weil in diesen sechs Wochen Einsiedlerdaseins gerade die heutige Evangelienstelle sehr wichtig geworden ist. Täglich mit dem Christusbild vom lebendigen Wasser und damit auch mit der dazugehörigen Perikope konfrontiert zu sein – und das in einem indischen Ashram – hat in mir die Notwendigkeit zum inneren Gebet, zur Meditation, verfestigt.

 

Jesus spricht vom Durst, vom Lebensdurst, den wir Menschen haben und der in der Begegnung mit ihm nicht nur gelöscht, sondern sogar zur Wasser spendenden Quelle verwandelt wird. Doch wo und wie kann man Jesus begegnen? Auf einem Berg? In einer Kirche oder einem Tempel? Nein ganz und gar nicht. Imposante Plätze und herrliche Prachtbauten sind nicht der letztliche Ort der Gottesbegegnung. Und auf die Fragen der Frau am Jakobsbrunnen, die stellvertretend die Fragen einer spirituell suchenden Menschheit stellt, gibt er zur Antwort: „Die Stunde ist schon da, in der die wahren Beter im Geist und in der Wahrheit Gott anbeten. Äußerlichkeiten müssen also einer neuen Innerlichkeit Platz machen.

 

Es wurde immer wieder gesagt, dass im Christentum im Gegensatz zu den asiatischen Religionen die Hinderlichkeit und die mystische Erfahrung fehle. Gerade der heutige Text soll uns Anlass geben, in uns selbst die Quelle des lebendigen Wassers zu suchen und in der Meditation und der Versenkung – im Geiste also – Gott zu begegnen. Dazu muss ich nicht nach Indien oder Rom fahren. Der Ort dazu ist jederzeit leicht erreichbar. Es ist das eigene Herz.