Erfüllte Zeit

13. 04. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Der gute Hirt als Gegenbild zu Dieben und Räubern“

(Johannes 10, 1 – 10)

von Regens Nikolaus Krasa

 

 

Das erste Morgenrot hat den Himmel über dem Bergland von Judäa in bunten Streifen verzaubert. Noch ist die Kälte der Nacht zu spüren. Der Boden ist feucht vom Tau. Hähne krähen. Ein Hirt ist schon unterwegs, schemenhaft im Dämmerlicht erkennbar. In seinen schweren Mantel gehüllt ist er auf dem Weg zum Schafstall des Dorfes. Dort haben mehrere Herden, vor Raubtieren durch hohe Mauern und Dornen geschützt, die Nacht verbracht. Ein kurzes Nicken zum Wächter am Tor, ein kaum hörbarer Gruß und er öffnet ihm die Tür. Der Hirt ruft seine Schafe. Eines nach dem anderen folgt seiner Stimme, löst sich aus dem Dunkel der Einfriedung. Als die Sonne über den steinigen Hügeln aufgeht ist die Herde schon unterwegs, von ihrem Hirten zur Weide geführt.

 

Eine idyllische Szenerie, die das heutige Evangelium entwirft. Der Hirt, seine Herde, eine friedliche, grüne Wiese, auf der die Schafe weiden. Der Hirt, der daneben, vielleicht im Schatten eines Baumes ruht. Welch schöneres Bild gibt es für gestresste Menschen unserer Zeit. Ähnlich scheint auch eines der bekanntesten Gebete des Alten Testaments, der Psalm 23, zu träumen: Gott, der Herr ist mein Hirt, er führt mich zum Ruheplatz am Wasser.

 

Aber bevor wir wegträumen, und vielleicht wieder einschlafen an diesem Sonntagmorgen, zurück zur Realität. Und zwar zur Realität des Evangeliums und auch des Psalms. Bereits aus den ersten Zeilen des Evangeliums ist erkennbar, wie die aussieht: Vom Dieb ist da die Rede und vom Räuber, der einsteigt, um Schafe zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten, wie es etwas später im Evangelium heißt. Und dann noch, auf die Spitze getrieben: Alle, die vor mir kamen sind Diebe, und Räuber. Erst Jesus, der mit dem anbrechenden Tag kommt, ist der richtige Hirte.

 

Eine ziemlich selbstbewusste Ansage Jesu also und ein brutaler gar nicht so idyllischer Hintergrund. Eine Ansage Jesu, die in weiterer Folge des 10. Kapitels des Johannesevangeliums, aus dem unser heutiger Evangelienabschnitt stammt, so formuliert werden wird: „Ich bin der gute Hirt.“ Der mit Exklusivanspruch. Ich bin der einzige und echte gute Hirt. Mehr noch. Wer diesen Satz auf dem Hintergrund jenes Psalms hört, von dem heute schon einmal die Rede war, der wird, muss reagieren. „Gott ist mein Hirte“, hat der Psalm begonnen und formuliert dabei als Bekenntnis, etwas, das sich in der Bibel Jesu, im alten Testament immer wieder findet: Gott ist der Hirte seines Volkes Israel. Wenn Jesus sagt: ich bin der einzige gute Hirte und wenn Gott der Hirte Israels ist, dann wird wohl klar, wie er sich, seine Identität sieht. Kein Wunder, dass die Reaktion der Zuhörer heftig wird: Man hält ihn für verrückt, total durchgeknallt, besessen. Und man will ihn als Gotteslästerer steinigen. So zieht sich Jesus nach dieser Rede auf sichereres Gelände zurück. Er verlässt Jerusalem, überschreitet den Jordan und bleibt vorerst dort.

 

Das ist allerdings nur die eine Hälfte der pointiert selbstbewussten Aussagen Jesu im heutigen Evangelium. Die zweite ist  mindestens ebenso stark. Und sie ist ähnlich formuliert. Wieder handelt es sich um einen Vergleich aus der harten und oft gar nicht so idyllischen Lebenswelt des Hirten. Wieder wird er mit dem selbstbewussten und exklusiven „ich bin der/die“ eingeleitet. Ich bin die Türe zu den Schafen – eigentlich wörtlich übersetzt und zum Weiteren besser passend: Ich bin die Tür der Schafe. Denn Jesus fährt fort. Wer durch mich hineingeht wird gerettet, er wird Weide finden. Er ist für die Schafe der einzige Weg zur Weide, zum Wasser um nochmals den Psalm anklingen zu lassen. Er ist das Tor zum Leben. (Vielleicht steht hier wieder, ähnlich wie beim Bild des Hirten, ein Psalm im Hintergrund, der das Bild in Zusammenhang mit Gott bringt: „Das ist das Tor zum Herrn“, dichtet Psalm 118). „Ich bin die Tür zu den Schafen“. Auch hinter dieser zweiten Aussage steht ein gewaltiges Selbst- und Sendungsbewusstsein. Jesus als der einzige Heilbringer.

 

Woraus nimmt Jesus, nimmt der Autor des Evangeliums dieses Selbstbewusstsein? Wohl aus dem Ende und Höhepunkt seines Werkes bzw. Lebens, aus den Osterereignissen. Aus den Geschehnissen um den Ostersonntag wird klar, warum Jesus das Tor, das die Schafe zum Leben führt, ist und warum er der Hirt ist. Es ist die Provokation und das Selbstbewusstsein der Auferstehung, die aus der scheinbaren Hirtenidylle des heutigen Evangeliums sprechen.