Erfüllte Zeit

27. 04. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Trostworte an die Jünger“ (Johannes 14, 15 – 21)

von Gerhard Langer

 

 

Das Evangelium des heutigen Sonntags zeigt uns einen Jesus, der sich von seinen Schülern verabschiedet. Er ist voller Fürsorge um sie. Fürsorge beinhaltet aber auch klare Aufträge: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten“; und Jesus setzt am Ende unseres Evangeliums noch einmal nach: „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt.“ An dieser Stelle erinnern wir uns an den Evangelisten Matthäus, der in seiner Bergpredigt Jesus sagen lässt: „Nicht jeder, der zu mir sagt: ‚Herr! Herr!’, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt.“

 

Auch Johannes bindet die Zukunft der Gemeinde nicht an das Fürwahrhalten von Glaubensaussagen oder Dogmen, nicht an oberflächliche Frömmelei, sondern an das Halten der Gebote. Schon vor dieser Abschiedsrede hat Jesus den Jüngern als großes Gebot aufgetragen, einander zu lieben. Jetzt ist diese Liebe als Tun der Gebote – in der Mehrzahl – präzisiert. Die Liebe konkretisiert sich also im Handeln, in einer Lebensweise, die ganz und gar auf Gott ausgerichtet ist. An unserer Stelle wird wie so oft in den Evangelien deutlich, dass das Vorurteil nicht stimmt, wonach das Christentum eine Religion der Liebe, das Judentum hingegen eine Religion der Gebote und Befehle sei. Liebe ist auch im Neuen Testament keine Angelegenheit bloßer Gefühle. Vielmehr äußert sie sich ganz im Sinne der alttestamentlichen und jüdischen Tradition im Tun, im Handeln für den Anderen, im Halten von Geboten. Diese sind keine lästige Pflicht, sondern freudiger Ausdruck der Zuwendung zu  Jesus, der die Christen in den Bund mit Gott hinein genommen hat, der vorher nur den Juden galt. Jesus vermittelt die Gottesnähe durch seine Weisungen, die jedoch nicht im Gegensatz zu den Geboten des alten Bundes stehen, sondern diese auslegen, erklären, vermitteln.

 

Wie schon bei Matthäus wird der Gemeinde bei Johannes dieser Auftrag nicht als einseitige Last umgehängt, sondern die Hilfe Gottes zugesichert. Wenn wir bereit sind, Gottes Gebote zu tun, wird er uns helfen, wird er uns nicht allein lassen, sendet er den Geist, den Fürsprecher und Beistand. Dieser Geist ist Zeichen der Liebe Gottes zu uns Menschen. Er ist der Geist der Wahrheit. Das meint keineswegs, dass mit der Gabe des Geistes eine Art Lehramt begründet würde, das Glaubensaussagen richtig oder falsch bewerten könne. Vielmehr bedeutet die Wahrheit hier vor allem die Erkenntnis, dass der am Kreuz sterbende Jesus nicht versagt hat, sondern in ihm Gott nahe ist. Erst am Kreuz wird vollends offenbar, was Jesus sagt: „Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch.“ 

 

Diese Botschaft ist für die Welt absurd. Die  Welt, das ist für Johannes stets alles Außenstehende, der Gegensatz zur Gemeinde. Die Welt kann der Gemeinde feindlich sein, mitunter aber ist sie auch nur voller Unverständnis angesichts des besonderen Geheimnisses des Todes Jesu und der darin ausgedrückten Gegenwart Gottes.

 

Die Welt sieht Jesus nicht mehr, sie vergisst ihn, nachdem er gestorben ist. Johannes scheint hier geradezu die moderne Welt zu beschreiben. Der schillernde Held ist morgen vergessen, der Stern auf der Bühne morgen verglüht. Wer nicht schön, jung und immer erfolgreich ist, der hat in dieser Welt nichts verloren. Die Welt des Erfolgs kann mit dem Tod nichts anfangen. Leid und Vergänglichkeit, Niederlage und Verlust sind Kategorien, mit denen in der Welt keine Schlagzeilen zu machen sind.

„Ihr aber seht mich“, sagt Jesus der Gemeinde, „weil ich lebe“.

 

Das Leben Jesu ist über den Tod hinaus das Geheimnis Gottes, das nur die Gemeinde erkennen kann. Sie tut es, wenn sie sich auf die Osterbotschaft einlässt und sich an das Vermächtnis dieses Jesus hält. Dann wird sie lebendig sein. Im Handeln der Christen spiegelt sich die Lebendigkeit Jesu wider. Dieser Auftrag ist kein geringer, und er ist stets gegen die Oberflächlichkeiten der Welt zu erweisen.