Erfüllte Zeit

11. 05. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Beauftragung der Jünger“ (Johannes 20, 19 - 23)
von Paul M. Zulehner

 

 

Man schrieb das Jahr 1962. Es war Österreichischer Katholikentag. Karl Rahner hielt das Hauptreferat. Der Titel seiner prophetischen Rede: „Löscht den Geist nicht aus.“ Eindringlich mahnte Rahner:

 

„Das Erste, was getan, was zu Herzen genommen werden müsste, wäre die Sorge, es könne der Geist ausgelöscht werden… Darum muss uns alle die Sorge quälen, dass wir es sein könnten, die den Geist auslöschen: ihn auslöschen durch den Hochmut der Besserwisserei, durch die Herzensträgheit, durch die Feigheit, durch die Unbelehrbarkeit, mit denen wir neuen Impulsen, neuen Drängen in der Kirche begegnen. Wie vieles wäre anders, wenn man dem Neuen nicht so oft entgegentreten würde mit der überlegenen Selbstsicherheit, mit einem Konservativismus, der nicht Gottes Ehre und Lehre und Stiftung in der Kirche verteidigt, sondern sich selbst, die alte Gewohnheit, das Übliche, das schon Gewohnte, dass man leben kann ohne den Schmerz der täglich neuen Metanoia.“ [1]

 

Es war eine weitsichtige Rede. Unvergesslich bis heute. Und nach wie vor von höchster Aktualität. Denn Gottes Geist hatte es nicht nur damals nicht leicht – er hat es auch heute schwer: sowohl in der Welt. Und – Gott sei‘s geklagt – viel zu oft auch in der Kirche.

 

Anzeichen der Geistauslöschung gibt es heute viele. Plakativ und fast unerlaubt vereinfachend greife ich zwei Symptome heraus, welche die Menschheit und mit ihr die Jüngerinnen und Jünger Jesu Christi seit ihrer Anfangszeit gefährdet haben: horizontlos und visionslos.

 

Horizont

Geistbeschenkte Menschen haben einen weiten Horizont. Ein solcher ist in der Welt von heute unverzichtbar. Denn diese Welt wächst unaufhaltsam zusammen. Europa eint sich, ohne sich der übrigen Welt zu verschließen. Eine solche zusammenwachsende Welt braucht „Weltbürger“. Diese haben Gottes eine Welt im Blick. Die gläubige Grundregel kann nur lauten: Weil nur ein Gott ist, ist jede eine von uns.

 

In solcher Zeit sind ein dumpfer Nationalismus sowie ein eingeigelter Eurozentrismus geistlos. Das gilt auch für jenes engstirniges Kulturchristentum, das neuestens hierzulande auftaucht. Solchen Kulturchristen geht es nicht um das Feuer des Geistes und die Weite des Glaubens an den einen Gott der einen Welt. Nein: Das Christentum muss jetzt herhalten als Instrument der Ab- und Ausgrenzung. Insbesondere gegenüber dem Islam. Solche provinzielle Abgrenzer müssen vergessen, dass in der christlichen Theologe ein Thomas von Aquin seine grandiose mittelalterliche Theologie nur entwickeln konnte, weil er über die Muslime Südspaniens Zugang zu Aristoteles erhalten hatte. Auch viele Kenntnisse in der Medizin, in der Mathematik (wir nennen unsere Ziffern immer noch arabisch), der Architektur, der Sternenkunde verdankt Europa islamischen Gelehrten. Heute aber wollen wir von Arbeitsmigranten lediglich die Arbeitskraft. Dass solche muslimische Arbeitskräfte Familien mit vielen Kindern mitbringen, nehmen wir widerwillig in Kauf. Dass es sich aber noch dazu um Menschen handelt, die einen starken Glauben haben, stört und verstört uns. Aber sind nicht wir selbst das Problem? Da trifft in Europa ein vormoderner, glaubensstarker und kinderfreundlicher Islam auf ein postmodernes, glaubensschwaches und kinderarmes Christentum. Wir sollten unseren eigenen christlichen Glauben stärken statt mit bischöflichem Rat den Bau von Minaretten zu verbieten.

 

Vision

Geistbeschenkte Menschen haben eine bewegende Vision. Eine solche steht hinter einer weltumspannenden, also im strengen Sinn dieses Wortes katholischen Haltung. Es ist die gläubige Vision von der Geschichte und ihrem innersten Ziel. Für gläubige Christinnen ist dieses Ziel nicht loszulösen von Jesus Christus, dem Gekreuzigten und von Gott Auferweckten. Wahrhaft Christgläubige wissen, dass mit der Auferweckung eines von uns, Jesus von Nazareth, Gott angefangen hat, seine Schöpfung in die Zielgerade zu bringen. Paulus spricht daher im ersten Korintherbrief, Kapitel 11, Vers 10, vom erfüllten Ende der Zeiten, in das wir eingetreten sind. Diese grandiose Vision ist aber alles andere provinziell, und schon gar nicht ist sie konfessionell. Sie betrifft jeden Menschen. Jede und jeder reift aus der Kraft des Geistes des Auferstandenen hinein in den auferweckten kosmischen Christus: die Atheistin ebenso wie der Buddhist, die Jüdin ebenso wie der unbekümmerte Alltagspragmatiker, der sich, solange es gut geht, mit einem diesseitigen Leben vertröstet und mit Lieben und Arbeiten das Auslangen findet. Der kosmische Christus wird am Ende alles in allen sein: die Vollendung jedes Menschen sowie der ganzen Schöpfung.

 

Wie kümmerlich nehmen sich im Licht einer solchen Vision jene aus, deren Welt an den Grenzen von Klagenfurt und Graz, Hütteldorf und Feldkirch endet, die keinen Dialog zusammenbringen, weder mit den christlichen Schwesternkirchen, noch mit den großen Religionen der Welt und auch mit einem intelligenten Atheismus. In solcher Enge blüht die Angst. Geistlose Enge ist Teil jener zukunftslosen Culture of fear, die für den amerikanischen Forscher Frank Furedi ein Merkmal unserer Zeit ist. Was für ein Segen für die eine Welt wäre es, würde der pfingstliche Gottesgeist solch zukunftslose Ängstlichkeit an der Seelenwurzel der Menschen heilen. Pfingsten wäre dann das Fest einer letzten tiefen Einheit der Menschheit, damit von Würde und Größe jedes Menschen sowie von Gerechtigkeit und Frieden.

 

„Empfanget den Heiligen Geist“: Welch ein gefährliches und zugleich segensreiches Geschenk des Auferstandenen für Welt und Kirche!


 

[1] Rahner Karl: Löscht den Geist nicht aus! in: Schriften zur Theologie, Bd. 7., Zürich 1966, 77-90.