Erfüllte Zeit

18. 05. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Was verändert die Welt? – Das Ziel der Sendung Jesu“

(Johannes 3, 16 – 18)

von Helga Kohler-Spiegel

 

 

In für uns ungewohnter Sprache fragt der Text danach, wer Jesus für uns Menschen ist. Das Johannesevangelium ist aufgebaut wie ein Drama, es nimmt den Leser oder die Leserin hinein in die Geschichte Jesu. Wir sollen mehr verstehen und begreifen als die Figuren der Handlung, als die Jünger und die anderen Personen zur Zeit Jesu.

 

Im irdischen Weg Jesu wird die "himmlische Sache" nicht sichtbar. Nur im Glauben kann ich erkennen, wer Jesus wirklich war. Es erinnert mich an Beziehungen, in denen mir der Wert eines Menschen und seine Bedeutung für mich selbst erst spürbar und erfahrbar werden im Rückblick. Erst im Nachhinein kann ich erfassen, was diesem Menschen wichtig war und was er für mich bedeutet hat... Es ist traurig und berührend zugleich: Schon Johannes der Täufer hat verkündet, dass Jesus "von oben" kommt, dass er der Gesandte Gottes ist, der die Worte Gottes redet und dem Gott alles in die Hand gegeben hat. Es zeigte sich bereits im Leben Jesu, dass in seiner Art, mit Menschen umzugehen, sichtbar wurde, was wir von Gott glauben. Den Jüngern wird dies aber erst nach Jesu Tod und Auferstehung verständlich.

 

Dem heutigen Evangelium vorausgegangen ist das Nachtgespräch Jesu mit dem Rabbiner Nikodemus. Nachdenklich und fragend kommt er auf Jesus zu, er will Jesus und seine Botschaft verstehen. Doch durch die Szene hindurch wird dem Leser, der Leserin verständlich: Nikodemus versteht nicht, er bleibt bei der vordergründigen Bedeutung der Worte, er kennt zwar die Texte der Heiligen Schrift, aber er kann sie nicht einordnen und im Blick auf Jesus verstehen. Und wir hören schon mit: Hoffentlich können wir erkennen, wer Jesus für uns ist: Ganz in Verbindung mit Gott, ganz Mensch, hinab gefahren in die tiefsten Tiefen, hinaufgefahren in die höchsten Höhen menschlichen Lebens. Vielleicht erinnern Sie Ihre eigenen Erfahrungen – wenn wir sagen: „Das war die Hölle“, oder wenn wir sagen: „Ich war glücklich, wie im Himmel…“

 

Die Botschaft Jesu ist nur im Kontext seiner Zeit verständlich. Damals wollten zahlreiche Gruppierungen bewirken, dass Gott endlich einschreitet und die Welt heil macht, dass endlich der Messias kommt und die Welt erlöst. Johannes der Täufer will dieses Einschreiten Gottes bewirken durch Umkehr und Buße, die Pharisäer durch kultische Reinheit und das Befolgen der Thora, die Zeloten wollen dies durch offenen politischen Widerstand. Man ging also davon aus, dass das Weltende unmittelbar bevorstehe und Gott durch das Gericht hindurch sein Reich errichten werde. Doch Jesus hat erkannt, dass Gott die Welt nicht durch ein Gericht verändert, sondern jetzt schon da ist, indem sich Menschen einander zuwenden. Die Erde ist der Ort, wo der Himmel bereits erfahrbar ist – wenn wir so leben wie Jesus. Wir können, das wissen wir, „den Himmel auf Erden haben“ oder es kann „die Hölle sein“. Wir können hier und jetzt in der Zuwendung Gottes leben, und wir können einander diese Nähe spüren lassen. Auf diesem Weg, durch uns „schreitet Gott ein“ und verändert die Welt zum Heil.

 

Zugegeben, die theologisch-reflexive Sprache des Johannesevangeliums ist schwierig. Sagen wir es konkret: Jesus ist Mensch, mit der Fähigkeit zum Guten wie zum Bösen. Er aber hat die Fähigkeit zum Bösen nicht genutzt, er hat zur „Nachfolge“ eingeladen. Und damit ist etwas Neues geschehen: Gott zeigt sich – wie bisher – väterlich, mütterlich, begleitend, behütend. Gott zeigt sich als Schöpfer, indem er eine für den Menschen „gute“ Welt schafft, auf der zu leben es sich lohnt. Gott zeigt sich auch in Christus Jesus, in diesem Menschen, von dem seine Begleiter, die Jüngerinnen und Jünger sagten: In ihm wird sichtbar, wie Gott selbst ist. Was er lebt und redet und wie er stirbt, das sagen wir sonst von Gott. Bis zur letzten Konsequenz zeigt er, was der Mensch ist: Bild Gottes - in ihm wird Gott selbst sichtbar. Denn der Mensch muss dem anderen Menschen keine Bedrohung sein, sondern der Mensch ist Bild, ist Abbild Gottes. Und - Jesus lädt alle Menschen ein, zu handeln, zu leben wie er. Selbst zu leben, wie Gott es gedacht hat, einander Geschwister zu sein… „Glauben“, sagt das Johannesevangelium dazu, „Jesus nachfolgen“. Dies alles ist möglich im Geist Gottes. An unserem Handeln wird sichtbar, wes Geistes Kind wir sind. Vielleicht gelingt es uns manchmal, in Jesu Geist zu handeln, dieser Weisheit Gottes…

 

Am heutigen Sonntag nach Pfingsten feiern Christen den „Dreifaltigkeitssonntag“, der im Jahr 1334 unter Papst Johannes XXII. für die ganze Kirche eingeführt wurde, das Fest bedenkt die Rede vom „dreifaltigen Gott“. Wieder – in reflexiver Sprache werden wir bei jedem Kreuzzeichen daran erinnert, dass Gott erfahrbar auf vielfältige Weisen – genauer gesagt: dreifaltig, in drei „Personen“ ist. Dazu muss aber zuerst der „Person-Begriff“ geklärt werden. Während für uns der Personbegriff die Individualität und Unverwechselbarkeit des einzelnen Menschen beschreibt, haben wir in der Antike einen ganz anderen Personbegriff: Im antiken Theater haben sich die Schauspieler nicht verkleidet, sondern sie hatten „Masken“ vor ihren Gesichtern, durch die die Stimme hindurchtönte, durchklang – „personare“ auf Lateinisch. Dies ist wichtig - „Person“ nimmt Bezug auf „personare“, durchklingen, durchtönen. Gott zeigt sich also in verschiedenen Erscheinungsweisen, es ist immer „Gott“ selbst, der/die „durchtönt“, „durchklingt“ durch die verschiedenen Weisen des Sichtbarwerdens. „Gott in drei Personen“: väterlich-mütterlich, begleitend, behütend. Gott wird sichtbar in Christus Jesus, im Menschen Jesus, der wie alle Menschen die Fähigkeit zum Guten wie zum Bösen hat – und der die Möglichkeit zum Bösen nicht genutzt hat. Das klingt vielleicht komisch, ist aber revolutionär - in der Kraft der ruah, des Geistes, der Weisheit Gottes. Jesus, so könnten wir sagen, ist derjenige, der vorgelebt hat, was wir als Menschen sind und wozu wir fähig sind: zu Gewalt oder zur Liebe, Gutes zu tun oder Schlechtes.... Es liegt an uns zu entscheiden...