Erfüllte Zeit

22. 05. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“ (Joh 6, 51 – 58)

von Helga Kohler-Spiegel

 

 

Eine Fortbildung – es geht um die Erstkommunion und um Symbole: Mitgebrachtes Brot wird geteilt, alle brechen ein Stück ab und essen. Um keinen Wein zu verwenden, werden wunderschöne Weintrauben im Kreis gereicht, niemand getraut sich, davon zu nehmen, so schön sieht die Weintraube aus. Dann erzählt Michaela Wuggazer aus Augsburg: „Da nehme ich die Trauben in die Hand und halte sie hoch. Und ich drücke die Finger fest zusammen. Saft spritzt über den ganzen Tisch. Die anderen weichen erschreckt zurück und starren fassungslos auf die ekligen, zerquetschen Reste in meiner Hand. Das Vollkommene ist zerstört, der Saft, der durch meine Finger tropft, erinnert an Blut.“ Zuerst Sprachlosigkeit – dann wird klar, dass Brot und Wein mit Leben und Tod, mit Folter und Ermordung zu tun haben. Es irritiert, wie sehr wir uns an die Bilder gewöhnt haben, wie harmlos sie geworden sind - Brot und Wein.

 

Klar, das Johannesevangelium nimmt uns schon wieder hinein in die Missverständnisse. Wer Jesu Botschaft wörtlich hört, wird sie missverstehen. Wer fähig ist, die Bilder zu lesen, wird das Wort hören. Fleisch und Blut, Speise und Trank. Die Gemeinde des Johannes war in Bedrängnis, sie waren aus der Synagoge ausgestoßen, sie hatten keine Heimat. Und sie suchen nach „Heimat“, sie wollen „bleiben“, so heißt es oft im Evangelium, sie wollen einen sicheren Ort haben. Sie ringen darum zu verstehen, warum der Gesandte Gottes, der Erlöser leiden musste, warum Gott nicht eingegriffen hat. Und sie finden ihre Antwort: Liebe. Diese Botschaft geht durch das gesamte Evangelium: Vater und Sohn, Jesus und seine Freunde, die Menschen – die Verbindung untereinander ist „Liebe“. Und nun könnten wir die ganze Geschichte Jesu unter diesem Stichwort erzählen: Gott liebt die Welt, deshalb soll diese Welt nicht in Gewalt und Terror versinken. Wie am Anfang der Zeit die Welt aus dem Wort Gottes heraus entstand, so soll in Christus Jesus ein neuer Anfang gelingen.

 

Im Johannesevangelium sind verschiedene Bilder überliefert, um zu verstehen, wer Jesus ist. Ein zentrales Bild, um zu verstehen, wer Jesus ist, ist „Brot“. Jesus sagt von sich: „Ich bin das lebendige Brot“. Mit „Brot“ assoziieren wir so vieles – Erfahrungen von Gastfreundschaft, von lebensrettendem Brot in Zeiten von Flucht, in Zeiten des Krieges. Einander das Brot nehmen, auch das gibt es. In Kindertagen – nach Stunden des Spiels im Freien, kurz ins Haus gehen, ein Brot essen, vielleicht mit Butter und Marmelade. In anderen Kontinenten gibt es oft nur ein, zwei Sorten Brot – und die Menschen sind froh darum, dass es überhaupt Brot gibt. Oft bedeutet Stromausfall, dass es an dem betroffenen und am nächsten Tag kein Brot gibt. Es ist ein zentrales Bild für Jesus, für Gott selbst: „Brot“.

 

Am Beginn des Abschnittes des heutigen Evangeliums steht das Brotwunder Jesu. Es ist eine karge Welt, alle haben Hunger, ein Kind hat fünf „Gerstenbrote“, das Brot der Armen. Lächerlich – das ist keine Hilfe für so viele Menschen. Aber Jesus macht die Menschen satt, es gibt Brot in Hülle und Fülle, er „erfüllt die Menschen mit Brot“ - heißt es wörtlich. Wie schön wäre es, wenn einer, wie im Schlaraffenland, alle satt macht. Und dann diese schwierigen Worte: Kein Schlaraffenland, sondern die Aufforderung, dass wir „Brot“ sein können für andere. Oder moderner formuliert: Dass wir „eigene Lebensressourcen zugunsten anderer hingeben“, so Jochen Hilberath, der Tübinger Dogmatiker.

 

Es bleibt ein Geheimnis. Ein Geheimnis ist kein Rätsel. Ein Rätsel kann man lösen, ein Geheimnis kann ich erahnen, erleben, bewahren – wie die Liebe, die Hoffnung, vielleicht auch das Glück. Vielleicht bleibt es nicht ganz fassbar: In einer Welt von Neid und Hass und Folter und Morden unterbricht einer diesen Kreislauf. Entgegen jeder Vernunft hält Jesus daran fest, dass der Mensch nicht zur Gewalt greifen muss, dass der Mensch „Bild Gottes“ sein und bleiben kann. Aber der Preis ist hoch. Für Jesus – und für alle, die ihm nachfolgen. Es ist nicht leicht, für andere „Brot zu sein“, eigene Lebensressourcen zugunsten anderer hinzugeben.

 

Fronleichnam meint, aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt: „Leib des Herrn“, ein katholisches Fest, das die Präsenz Jesu in Brot und Wein feiert. Bei „Brot und Wein“ denken wir an das, was wir unbedingt zum Leben brauchen – Brot. Und an das, was über das Notwendige hinaus geht – Wein, Symbol der Freude, der Fülle. Die Prozession zu Fronleichnam macht deutlich: In Brot und Wein ist Gott dort sichtbar, wo Menschen leben, in den Straßen, in den Wohngegenden. Menschen geben einander Brot in ihrem Alltag. Menschen geben einander von ihren Lebensressourcen, Menschen harren miteinander aus, wo andere weglaufen, Menschen lassen einander nicht im Stich… In der Sprache des Johannesevangeliums heißt dies: Menschen „bleiben“, Menschen riskieren, den Weg Jesu zu gehen, zu werden wie Jesus… Fronleichnam sucht Gott nicht an den sogenannt frommen Plätzen, sondern bei den Menschen. Der Text „Seit meiner Kindheit“ von Kurt Marti drückt dies so aus:

 

Seit meiner Kindheit

bin ich den Menschen auf der Spur.

Ich fragte viel.

Ich blieb sitzen, wo viele gingen.

Ich lasse die Menschen nicht aus den Augen.

Seit meiner Kindheit

bin ich den Menschen auf den Fersen.

Auf diesem Weg hab´ ich

viel von Gott entdeckt.

 

Deshalb werden an Fronleichnam Brot und Wein durch die Wohnviertel getragen. Denn das Fest Fronleichnam ermutigt, Gott zu suchen, wo Menschen miteinander Brot essen, Wein trinken – in den Wohnvierteln, im Alltag.