Erfüllte Zeit

25. 05. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Von der falschen und der rechten Sorge“ (Matthäus 6, 24 – 34)

von Josef Schultes

 

 

Das Fladenbrot ging von Hand zu Hand. Jede brach sich ein Stückchen ab. Plötzlich weinte Gabi laut auf. „Ich bin, ja, bin“, schluchzte sie, „so glücklich. Ich fühle mich frei, frei und gelöst.“ Sie kaute ein paar Mal. Tränen kollerten über ihre Wangen. „Ohne Sorgen zu sein, und hier, mit euch“. Ihre Freundin rückte noch näher und legte den Arm um ihre Schulter. „Es braucht nur wenig“, sagte sie, „um glücklich, um selig zu sein.“ Dann wurde es wieder still, ganz still auf dem Berg der Seligpreisungen. Viele Blicke ruhten auf dem Wasser, in dem sich der Himmel spiegelte. Viel Himmel im See Gennesaret…

 

„Sorgt euch nicht“: Als Dieter Dorner den Bibeltext gelesen hat, weckten diese drei Worte recht starke Emotionen in mir. Erinnerungen stiegen auf an meine Reisen nach Israel, wie jene mit einer Gruppe von Studierenden der Religionspädagogischen Akademie Wien-Strebersdorf. „Sorgt euch nicht“: Als Leitmotiv klingt dieser Satz im heutigen Evangelium immer wieder an. mh. merimna/te, nur zwei Worte kurz ist er in Koine-Griechisch, der Umgangssprache zur Zeit Jesu. In ihr hat Matthäus in den 80er-Jahren des 1. Jahrhunderts seine Originalschrift verfasst, damit ihn möglichst viele verstehen konnten.

 

Als Pädagoge bewundere ich sein didaktisches Modell, nämlich Jesu Lehre in fünf große Reden zu kleiden. Dieser Matthäus: für mich ist er ein katechetisches Genie! Seine Adressaten, vorwiegend Juden, verstehen sein Konzept sofort: Wenn einer fünf Reden hält, wie Jesus jetzt, dann macht es „klick“ zu den fünf Rollen der Tora, zurück zu Mose einst. Und wenn Mose die Gesetzestafeln im Sinai-Massiv erhalten haben soll, dann „muss“ auch Jesus, dieser Leader des Neuen Bundes, seine Weisung auf einem Berg kundtun. Selbst wenn es nur ein Hügel ist, eine kleine Anhöhe am See Gennesaret: Gekonnt positioniert hier Matthäus die erste große Ansprache Jesu. Wir kennen sie alle unter dem Namen „Bergpredigt“.

 

„Sorgt euch nicht“: Damit wird kein sorgloses In-den-Tag-hinein-leben gestattet. Was Jesus hier anspricht, ist das Loslassen jener Sorgen, mit denen Menschen sich ängstigen, beunruhigen, zermartern. Falsche Sorgen insofern, weil sie aus dem fehlenden Vertrauen Gott gegenüber entstehen: „Ihr Klein-Gläubigen“, wie fast alle Bibelübersetzungen formulieren. Das Vorbild der „Vögel des Himmels“ liegt ja nicht in ihrem Nichtstun, sondern im Bezeugen von Gottes väterlicher Fürsorge. Auch bei den „Lilien, die auf dem Feld wachsen“ wird der „Lehr-Beweis“ vom Geringeren zum Größeren geführt, also von den Tieren und Pflanzen auf den Menschen hin.

 

„Sorgt euch nicht“: Der Vater im Himmel, lehrt Jesus nach Matthäus, gibt allen Wesen das größte und einzigartige Geschenk, nämlich das Leben. Wird er dann nicht auch das geben, so argumentiert er weiter, was alle – Tiere, Pflanzen, Menschen – zum Leben brauchen? Intensive Arbeit ist dadurch nicht aufgehoben, wohl aber die Sorge verwandelt. Denn eigentlicher und damit legitimer Gegenstand menschlicher Sorge ist das „Himmelreich“. Das betont schon das Herzstück der Bergpredigt, das Vater unser, in seiner zweiten Bitte: „Dein Reich komme!“

 

„Sorge dich nicht, vertrau“: So könnte die Kurzfassung der Perikope zum heutigen Sonntag lauten. Oder etwas länger: Du brauchst dich nicht zu sorgen, wenn du nur Gott wirklich Gott sein lässt. Er hat mit seiner Schöpfungswirklichkeit auch für dich vorgesorgt. Vertrau, dass die Sonne täglich auf und unter geht. Oder weniger dem antiken Weltbild verhaftet: Vertrau der Erdrotation und den kosmischen Gesetzen dahinter. Vertrau, dass du genug Sauerstoff zum Atmen hast und dein Herz schlägt, bei Tag und bei Nacht, ob du es spürst oder nicht.

 

Das sind ja Selbstverständlichkeiten, könnte man einwenden, da fällt das Vertrauen leicht. So manche Biographie jedoch liest sich düster und für viele bleibt ihr Leben ein Fragment. Wenn etwa der Arbeitsplatz verloren geht, eine Beziehung scheitert oder schwere Krankheit ausbricht – worauf dann vertrauen, wie dann dem Schlagschatten der Angst entkommen?!

 

„Sorge dich nicht, lebe!“ So hätte Dale Carnegie wahrscheinlich darauf geantwortet, Autor des gleichnamigen Bestsellers. Seine verbreitete Anleitung zum Glücklichsein klingt vielleicht vorschnell und oberflächlich. Aber zweifellos richtig hat er erkannt, dass viele sich Sorgen „machen“, dass Sorgen mit Angst, also „Enge“ zu tun haben und nicht selten auf schlechte „Denk“-Gewohnheiten zurückzuführen sind.

 

„Don’t Worry, Be Happy!“ Diesen Rat gibt Bobby McFerrin seit zwanzig Jahren; oder genauer: er singt ihn. „Wenn du ein Lied zum ersten Mal singst“, erzählte er in einem Interview, „ziehen vielleicht gerade Wolken auf, beim zweiten Mal steht die Sonne hoch am Himmel. Dann muss man das Lied anders singen. Vielleicht singst du es gerade, wenn du dir die Hände wäschst, dann musst du es nass singen. Die menschliche Stimme ist kein mechanisches Gerät. Sie ist das Instrument der Seele. Deshalb muss man ein Stück Musik jedes Mal neu erfinden.“

 

„Don’t Worry“: Vielleicht ist Leben und Glauben wie ein Stück Musik…