Erfüllte Zeit

29. 06. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Für wen halten die Leute den Menschensohn? – Das Messiasbekenntnis des Petrus und die Antwort Jesu“

(Matthäus 16, 13 - 19)

von Prof. Philipp Harnoncourt

 

 

Wer wird heute über Jesus befragt? Und was sagen „die Leute“ über Jesus von Nazareth?

 

Heute, am 29. Juni, feiern die katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen das Hochfest der Apostelfürsten Petrus und Paulus, die gemäß ältester Überlieferung in der Verfolgung durch Kaiser Nero in Rom ge­meinsam das Martyrium erlitten haben. Dieses Hochfest verdrängt heute die Feier des Sonntags. Üblicherweise wird in katholischen Predigten immer nur der zweite Teil des Fest-Evangeliums ausgelegt:

Die Zusage Jesu an Simon: „Du bist Petrus, der Fels, …und dir werde ich die Schlüssel des Himmelreiches geben!“

 

Dieser Satz steht im amtlichen Lektionar der katholischen Kirche als Über­schrift über dem Evangelium des Festes. So wird fast immer vom Leitungsamt und von der Schlüsselgewalt des Petrus und seiner Nachfolger gesprochen, das heißt vom Papsttum der katholischen Kirche:
°  von seiner Unfehlbarkeit und
°  von seiner Leitungsgewalt über die eine und einzige Kirche Christi.

 

Ich will es heute anders angehen: Ich lenke meine und Ihre Aufmerksamkeit auf den ersten Teil des Evange­liums von diesem Fest. Dieser Teil enthält zwei wichtige Fragen. Beide richtet Jesus an seine Jünger: „Für wen halten mich die Leute?“und: „Für wen haltet ihr mich?“

 

Jesus hat schon etwa ein Jahr in Galiläa gepredigt, Kranke geheilt und das Kommen des Himmelreiches ausgerufen. Riesige Scharen von Menschen sind ihm gefolgt. Tausende hat er mit wenigen Broten gespeist und alle sind satt geworden. Sie wollen ihn zu ihrem König machen. Jesus will, dass seine Jünger sich darüber klar werden, wer und was er ist, und wozu er in die Welt gekommen ist. Ohne lang nachzudenken geben die Jünger bereitwillig Auskunft. Offenbar waren damals verschiedene Urteile über Jesus verbreitet: Jesus gilt nicht nur als ein bedeutender Mensch, ganz gewiss ist er ein Mann Gottes. Manche meinen, Johannes der Täufer predigt wieder, andere vermuten, Elija oder Jeremia sei wiedergekommen, …
Doch es steht fest: Er ist ein Prophet!

 

Jesus hat den Eindruck, dass auch seine Jünger diese Ansichten über ihn teilen.

Er fragt weiter und fordert sie so zum persönlichen Bekenntnis heraus: „Ihr, aber, für wen haltet ihr mich? Wer oder was bin ich in euren Augen? Kennt ihr mich besser als ‚die Leute’?“

 

Simon Petrus – beim Reden oft der erste von den Jüngern – bekennt: „Du bist der Messias  (das heißt wörtlich: der Geist-Gesalbte, der von den Propheten verheißene Retter)“, und er fügt hinzu: „der Sohn des lebendigen Gottes!“ Das ist entschieden mehr und anderes als die öffentliche Meinung. Jesus nimmt dieses Zeugnis an.  Und er fügt sogleich etwas ganz Wichtiges hinzu: „Selig bist du, Simon, Sohn des Jona, denn nicht Fleisch und Blut haben dir das geoffenbart.“

 

Das heißt:  „Nicht deinen Sinnen kannst du diese Einsicht zuschreiben, die Sinne der Menschen erreichen ja nur die Oberfläche der Dinge.“

 

Das Petrus-Bekenntnis ist ein Zeugnis des Glaubens, der nur von Gott als unverdiente Gnade geschenkt wird. Jesus sagt darum: „Mein Vater hat dir das geoffenbart.“ (Eine ähnliche Aussage enthält das Lukas-Evangelium in der Erzählung vom Besuch der Gottesmutter bei Elisabeth, nachdem sie den Sohn Gottes vom Heiligen Geist empfangen hatte. Elisabeth, erfüllt vom Heiligen Geist, erkennt und preist Maria als
die Mutter meines Herrn (Lk 1, 41 - 43)).

 

Der Glaube, dass Jesus, der sich selbst eben erst Menschensohn genannt hat, der Messias und der Sohn des lebendigen Gottes ist, kann weder durch die Sinne vermittelt werden, noch ist es eine logische Schlussfolgerung. Es ist geschenkte Gnade! Jesus weiß genau, dass sein Mensch-Sein diesem Glauben entgegensteht. Das Mensch-Sein Jesu bringt zwar Gott, den Unsichtbaren, den ganz und gar Unverfügbaren so in unsere Welt, dass wir seiner habhaft zu sein scheinen, aber trotz aller Nähe, bleibt Gott auch in Jesus ganz und gar verborgen.

 

Wir haben unsere Überlegung aber noch weiter zu führen. Das Tages-Evangelium in der Liturgie bedeutet und bewirkt ja immer die Vergegenwärtigung“ dessen, was es berichtet. Wir selbst sind hier und heute die Jünger Jesu. Uns stellt Jesus die beiden Fragen: „Für wen halten die Leute den Menschesohn?“ und „Für wen haltet ihr mich?“

 

Was „die Leute“ anlangt, sind heutige Antworten ähnlich wie die zur Zeit der Apostel: „Jesus ist ein Idealist, … ein Stifter von Versöhnung, … ein Bote des Friedens, … ein frommer, aber eigenwilliger Jude, … ein Mann Gottes, … der Gründer einer neuen Religion.“

 

Wie aber lautet „unser“ Jesus-Bekenntnis? Sagen wir gedankenlos auf, was die Kirche uns zu sagen gebietet: „Wir glauben an Jesus Christus, Gottes einzig geborenen Sohn; gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater …“

 

Die Frage Jesu fordert mich noch eindringlicher heraus. Was ist meine ganz persönliche Antwort auf die an mich gerichtete Frage: „Du aber, für wen hältst du mich?“ Die Antwort darauf kann nur jeder und jede von uns selbst geben. Um die Gnade des Glaubens dürfen, ja müssen wir unseren Vater im Himmel bitten. Nur ER offenbart uns, wer Jesus ist. Nur in seinem Gnadengeschenk kann unser Glaube gründen: „Jesus ist der verheißene Erlöser, der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“

 

Und dann wird Jesus auch zu mir sagen, was er zu Petrus gesagt hat: „Selig bist Du! Mein Vater hat es dir geoffenbart!“

 

Ist es vermessen anzunehmen, dass Jesus auch jedem und zu jeder von uns – wie dem Petrus – etwas von der Festigkeit des Felsens anvertraut, der die Kirche trägt? Er gibt ja auch allen, die an ihn glauben, Anteil an der Binde- und Löse-Gewalt seiner Kirche … (vgl. Mt 18,18).