Erfüllte Zeit

13. 07. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Gleichnis vom Sämann“ (Matthäus 13, 1 – 23)

von Josef Schultes

 

 

„Auf guten Boden gesät, bringt der Same des Wortes Frucht, hundertfach oder sechzigfach oder dreißigfach“. Der letzte Satz aus dem heutigen Evangelium klingt noch nach, aus einem meiner liebsten Gleichnisse, bin ich doch ein Bauernsohn. Geboren im Weinviertel, aufgewachsen in einem kleinen Dorf, am Ortsrand. Wo der Blick frei ist auf die Felder und ihr sich wandelndes Farbenspiel, je nach Tages- und Jahreszeit. Wo das Wogen der Saat an das Ohr dringt und ins Herz. Seit Kindertagen liebe ich diese Musik, wie sie nur Halme spielen können mit schweren, weil reifen Ähren, ein Freiluft-Orchester in größter Besetzung…

 

Doch erst seit den Ferien meiner Studentenjahre weiß ich, wie lang ein Tag auf dem heißen Mähdrescher sein kann, und wie sehr Gerstenstaub juckt. Damals wurde die Agrar-Industrialisierung vorsichtig vorangetrieben. Gesät oder „anbaut“ – wie es im österreichischen Dialekt so schön heißt – angebaut hat aber schon mein Großvater mit der Maschine, nicht mehr mit der Hand, wie in unserem Bibeltext.

 

Das Gleichnis vom Sämann setzt die Gegebenheiten in Galiläa zur Zeit Jesu voraus. Die hohen Saatverluste, sie wurden von den Exegeten lang und breit diskutiert: Nach der Getreideernte im Mai haben die Leute den Boden brach liegen lassen; im Spätherbst, im November, wurde er besät und anschließend erst beackert, wobei man Gestrüpp und Trampelpfade mit unterpflügte.

 

Die heutige Auslegung krallt sich weniger an den Anbaumethoden fest. Vor allem der sozialgeschichtliche Ansatz, wie ihn etwa Luise Schottroff vertritt, weist auf die wirtschaftliche Notlage hin: trotz felsiger Stellen haben die Menschen das letzte kleine Stück Erde bebauen müssen. Auch die Archäologie liefert Befunde für solche Miniaturfelder im Palästina des 1. Jahrhunderts nach Christus.

 

Einig sind sich die Bibel-Experten darin: Jesus hat dieses Gleichnis am Ende seines sogenannten „Galiläischen Frühlings“ gesprochen. Als der Widerstand der führenden religiös-politischen Kreise gegen ihn gewachsen ist, vor allem in seiner Heimat Galiläa, und damit seine endgültige Ablehnung begann. Ganz massiv etwa in der Auseinandersetzung um den Mann mit der verdorrten Hand. Jesus heilt ihn, herausfordernd, just an einem Sabbat. „Da gingen die Pharisäer hinaus und fassten zusammen mit den Anhängern des Herodes den Beschluss, Jesus umzubringen“, heißt es im Kapitel 3, Vers 6 bei Markus. Und gleich darauf, in seinem 4. Kapitel, hat er das Gleichnis vom Sämann in seinem Evangelium von Jesu Weg positioniert.

 

Matthäus und Lukas, die beiden anderen Synoptiker, übernehmen das Gleichnis zunächst so, wie sie es bei Markus vorfinden. Samt seiner Deutung, die als festes Traditionsgut wohl schon dem frühesten Evangelisten, eben Markus, vorgegeben ist. Es ist die in der Antike, im Mittelalter und bis in unsere Zeit beliebte „allegorische Deutung“. Αλληγορέω, ein griechisches Wort, heißt „etwas anders ausdrücken“. Die Allegorese ist daher eine Form der indirekten Aussage. In ihr wird ein Ding, eine Person oder ein Vorgang – Zug um Zug – auf ein anderes Ding, eine andere Person oder einen anderen Vorgang übertragen. In unserem Fall also der „Same“ auf das „Wort“, so bei Markus; auf das „Wort Gottes“, so schreibt Lukas; auf das „Wort vom Reich, vom Königreich“ schließlich Matthäus.

 

Übrigens, auch nächsten Sonntag, beim Gleichnis vom Unkraut im Weizen, gibt es eine allegorische Deutung. Dort wird aber noch ein apokalyptischer Teil angefügt, das heißt eine Beschreibung der Vorgänge vom Ende der Welt, wie man sie sich damals eben ausgemalt hat.

 

Der Sämann, die bedrohte Aussaat und die große Ernte – diese Bilder rühren das Landkind in mir Theologen tief an. Sehnsucht erwacht nach dem See Gennesaret,  an dessen Ufer das Gleichnis ins Wort gefunden hat. Ausgesät von Jesus, Jeschua Ben Joseph, einzigartig begnadeter Künder vom Reich der Himmel. Erzählt allerdings erst nach seinen besten Tagen in Galiläa, als manche der Jünger ihre weitere Nachfolge verweigern. Vom Boot aus erzählt, auf schwankendem Holz, das bewahrt vor dem Sog in die Tiefe. Von der adamah, von der rötlichen Acker-Erde genommener adam ist er, ein Mensch nur, vergänglich wie Gras. Und doch – so tiefinnerst  fühlend – Saatgut der Unsterblichkeit; Aussaat, die wächst und blüht und Frucht bringt. Hundertfach, sechzigfach hoffentlich, dreißigfach wenigstens. Den Händen Adonais, dem Sämann der Ewigkeit, vertraut er sich an. Erst recht jetzt, in entscheidender Stunde.

 

Das Gleichnis vom Sämann: es löst auch bei mir als Religionspädagogen manche besorgte Frage aus. Wer will von mir, wer will von uns Nach-Denkenden noch hören, dass wir mehr sind als Staub auf den Wegen des Alltags, grau und zufällig? Wie kann es mir, wie kann es uns gelingen, Samen der Zuversicht zu sein, Körner einer Zukunft, für die es lohnt zu leben? Wie erwecke ich, wie erwecken wir vom Lärm zugedröhnte Ohren zum Hören, zum Hören auf die befreiende Botschaft, Frucht zu bringen, sogar reiche Frucht?

 

Ermutigendes dazu habe ich bei Friedrich Weinreb, diesem jüdischen Mystiker, einmal gelesen: „Die Bibel“, so sagt er, „wir sollen sie allen Menschen, wo sie auch sein mögen, erzählen. Ohne Zwang einfach mitteilen und darauf achten, ob die Frucht wächst, ob der Same auf Stein fällt oder in die Erde.“ Und, so schreibt er, ein Lehrer lebendigen Wissens, weiter in seinem Buch ‚Die jüdischen Wurzeln des Matthäus-Evangeliums’: „Wir sollen aussäen. Wenn es sein soll, sprießt es, und wenn nicht, dann eben nicht. Zwingen können wir es nicht. Wir können nicht in der Erde nachgraben oder danach suchen, wie weit es schon gediehen ist. Wir würden den Keim nur töten. Er soll ruhig keimen, damit er groß und zur Pflanze wird. Und“, so fügt er abschließend gelassen hinzu, „man soll es in Ruhe lassen, es wächst schon.“