Erfüllte Zeit

20. 07. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen“ (Matthäus 13, 24 – 43)

von Josef Schultes

 

 

Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen: wirklich passend zu einem runden Geburtstag! Er hat ihn „in alter Frische“ gefeiert, seinen Sechziger, schon vor ein paar Monaten. Nicht nur Österreich freute sich, als er damals – bald nach Beginn der Zweiten Republik – „zur Welt gekommen“ ist. Ganz Europa hat ihm vertraut, auch in Übersee hat man auf ihn gebaut, ihn global sozusagen „auf Händen getragen“. Eine wahre Institution, beliebt beim Staat, geschätzt in den Kirchen, verehrt auch von wenig Begüterten. Und für viele ist er „ewig jung“ geblieben, nach wie vor rechnen sie mit ihm, bei diesen Preisen …

 

Von wem ich spreche? Natürlich vom – Schilling! Genauer gesagt: von der Ein-Schilling-Münze. Und zwar von jener, die ab 1947 – deswegen der Sechziger! – im Umlauf gewesen ist. Hell war sie und leicht, weil fast aus reinem Aluminium.

 

Warum ich jetzt, in Euro-Zeiten, noch vom Schilling rede? Klar für alle, die mit der alten Währung vertraut sind: Der Sämann ist es! Der Sämann – und damit eines der weltweit verbreiteten Bilder von Albin Egger-Lienz. Der österreichische Maler hat das biblische Gleichnis in mehreren Fassungen dargestellt. Für den Entwurf der Ein-Schilling-Münze diente damals sein bekanntes Gemälde „Sämann und Teufel“ als Vorbild. „Die Anlehnung an die Figur des Teufels“, bemerkt dazu Roman Sandgruber, versierter Wirtschafts- und Sozialhistoriker an der Uni Linz, „diese Anlehnung war offensichtlich, wobei die kesse Stirnlocke des nackten Jünglings nur notdürftig die Hörner des Originals kaschierte.“ Bei der Suche nach einem geeigneten Motiv war völlig übersehen worden, um welche Figur es sich bei dem Muskel-Mann wirklich handelte…

 

Der monetäre Missgriff, millionenfach in Alu geprägt, verlangt den Rückgriff auf den primären Wortlaut der Bibel, tradiert in Griechisch. evcqro.j a;nqrwpoj, heißt es dort, als die Knechte nach der Ursache des Unkrauts fragen; inimicus homo, so die lateinische Vulgata des heiligen Hieronymus. Auch das Münchener Neue Testament übersetzt präzise: „Ein menschlicher Feind“. Er und viel mehr noch das Unkraut: sie bringen ja die Dynamik in unserer Parabel.

 

Eigentlich ist die Geschichte sehr einfach: Es wird gesät, und – erwünschte Folge – es wird geerntet. Zwei bestimmende Pole, durch nichts in Frage zu stellen. Aber nur scheinbar. Denn das Problem liegt – und das weiß jeder, auch wer im Büroturm einer Großstadt sitzt, gut isoliert von Umwelt und Erde, mit dem PC mehr vertraut als mit Weizensaat und Weizenernte – das eigentliche Problem liegt in der Zeit dazwischen. Sie macht unruhig, versetzt in Spannung, weckt Ängste.

 

Wir in unserem Land, wir fürchten, nicht zuletzt wegen der schweren Gewitter vor einigen Wochen, die Schäden durch Starkregen und Hagel. Zwischen Aussaat und Ernte: Im wasserarmen Palästina lag die größere Bedrohung im Unkraut. Daher machte der Vorschlag der Knechte, es bei Zeiten auszureißen, durchaus Sinn. Hauptsächlich handelte es sich dabei, so meinen jedenfalls die Botaniker, um den Taumel-Lolch, eine Art, die zur gleichen Pflanzenfamilie wie der Weizen gehört. Im Frühjahr, wenn die junge Saat etwa eine Spanne hoch war, sollte alles Unkraut, also auch der Lolch, ausgejätet werden. Ein jüdisches Sprichwort aus der Zeit Jesu lautet: „Wer gejätet hat, hat noch mehr getan als der, der gepflügt hat.“

 

„Lasst beides wachsen bis zur Ernte“, heißt es im Evangelium. Das Nein des Grundbesitzers überrascht. Es bietet zugleich aber auch den Schlüssel zum Verständnis. Denn so, wie uns das Gleichnis heute vorliegt, verweist es auf eine lange Entwicklungsgeschichte.

 

Zuerst gab es, wie Bibelexperten feststellen, eine Bildgeschichte, von Jesus selbst erzählt. Aus gegebenem Anlass. Denn unter seinen Jüngerinnen und Jüngern waren nicht wenige von zweifelhaftem Ruf. Nicht gerade „Weizen, reine Sorte“. Was auch auf den Meister abfärbte: „Dieser Freund der Zöllner und Sünder“, heißt es bei Matthäus 11, also zwei Kapitel vor unserem Text. Wie kann dieser bunt zusammen gewürfelte Haufen – so der Vorwurf von Jesu Gegnern – das neue Volk des Ewigen, der Kern seines Königreiches sein?!

 

Zu beachten ist: Sowohl die Pharisäer – hebräisch perushim, „die Abgesonderten“ – als auch die Essener – das heißt die “Frommen“, bekannt durch die Schriftrollen von Qumran am Toten Meer – beide streng religiösen Gruppen waren bestrebt, nur Tora-Treue bzw. Regel-Hüter in ihre Reihen aufzunehmen. Kranke hatten keine Chance, Sünder wurden strikt ausgegrenzt.

 

Doch nicht nur Jesus hatte zu verteidigen, sich und seinen Umgang mit „Un-Guten“, „Un-Schönen“, eben „Un-Kraut“. Auch in der ersten Christen-Generation rief man nach Zucht und Ordnung, nach strenger Buße, sogar nach Exkommunikation. Gegen solche rigorose Tendenzen, eine „Kirche der Reinen“ zu schaffen, schreibt Matthäus an. Nur bei ihm findet sich unsere Parabel, die dem „Saubere-Grenzen-Ziehen“ misstraut und eine andere Sichtweise eröffnet, einen neuen Horizont, weit und hoffnungsgrün entspannt.

 

Eure Aufgabe – so hätte der Evangelist seiner Gemeinde auch zureden können – eure Aufgabe ist nicht das Ausreißen, das Ausrotten, das Verurteilen. Löst euch vom Schema, eure Welt in Nutzkraut und Unkraut, in gut und böse einzuteilen. Gottes Wirklichkeit ist viel größer, sein Wohlwollen viel leuchtender und bunter. Schenkt einander Stand und Verstehen, wachst selbst und lasst einander ganz werden. Gewährt euch Zeiten des Reifens.

 

Und mit einem Mal habe ich das Gefühl, Matthäus wendet sich an mich und sagt: Na, du Schriftgelehrter, wie ist es um das Feld deines eigenen Lebens bestellt? Wie viel „Weizen des Vertrauens“ wächst da und wie wenig „Kraut der Angst“? Und, fügt er mit viel Wärme in seiner Stimme hinzu, noch ein Tipp: Lass deine Perfektion, lass sie, und lerne Geduld, lerne – von meiner Parabel…