Erfüllte Zeit

27. 07. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Gleichnisse vom Schatz und der Perle und vom Fischnetz“

(Matthäus  13, 44 – 52)

von Pfarrer Christian Öhler

 

 

Ich bin als Pfarrer ja nun kein Schriftgelehrter, kein ausgewiesener Bibeltheologe, kein Spezialist für die Exegese der überlieferten Texte. Ein Jünger des Himmelreiches bin ich schon geworden und eine Schatzkiste besitze ich auch in meinem Haushalt und im Büro. Einen reichen Vorrat an Bibelausgaben, Büchern, sowieso Tagebuchaufzeichnungen, Notizen, Gegenständen, mit denen ich bestimmte Personen verbinde, Fotos. In den letzten Jahren ist das Internet mit seinen schier unbegrenzten Möglichkeiten dazugekommen. Ständig krame ich in meinen Vorräten, um darin Anregungen zu finden, die mich selber fürs Himmelreich öffnen, und indem ich sie weiter sage, auch andere Menschen. Zum Beispiel Sie, die Sie mir an diesem Sonntagmorgen dankenswerterweise zuhören. Immer geht´ s dabei um erste Schritte dahin, wo „Himmel und Erde sich berühren“. Wie es in einem modernen geistlichen Lied heißt. Wo Menschen ihr Ego vergessen, „sich verschenken“, „sich verbünden“, „die Wege verlassen“, d.h. die Gewohnheiten des alten Menschen ablegen, „die Liebe bedenken, den Hass überwinden und neu beginnen, ganz neu, da berühren sich Himmel und Erde“. Wir singen dieses Lied gerne beim Gottesdienst der Pfarrgemeinde.

 

„Jeder Schriftgelehrte also, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, gleicht einem Hausherrn, der aus seinem reichen Vorrat Neues und Altes  hervorholt.“ Das Beispiel des Mannes, der einen Schatz findet und alles daran setzt, um den Acker zu erwerben, in dem er vergraben ist, dieses Gleichnis ist alt und uns allen wohl vertraut. 200 Jahre später lebt in der Stadt Rom ein Mann namens Laurentius. Als Diakon ist er in der Kirche von Rom für die Sozialarbeit zuständig. Kaiser Valerian hat es auf den Kirchenschatz abgesehen. Er will den Diakon zur Herausgabe der Schätze zwingen, indem er ihn mehrfach geißeln lässt. Laurentius erbittet sich drei Tage Bedenkzeit und verteilt während dieser Frist die Güter an die Leidenden und Armen. Dann präsentiert er sie dem Kaiser mit den Worten: „Diese Armen, sie sind der wahre Schatz der Kirche“. Es ist ihm nicht gut bekommen. Auf einem Rost wurde er über Feuer langsam zu Tode gefoltert. Es wird überliefert, dass er sich seinen Humor auch unter der Folter bewahrt hat. Seinen Henker soll er aufgefordert haben, er solle ihn auf dem Feuer wenden, der Braten sei auf der einen Seite schon gar. Der wahre Kern der Legende ist wohl: Er hatte seinen Schatz gefunden und die Freude darüber konnte ihm durch nichts und niemanden genommen werden.

 

Die Legende des Hl. Laurentius ist zwar auch schon älteren Datums, aber sie wirft ein neues Licht auf das alte Jesus-Gleichnis. „Extra pauperes non salus“. „Außerhalb der Armen, unabhängig von ihnen oder gar gegen sie gibt es kein Heil“, meint der Befreiungstheologe Jan Sobrino. Die Armen und Leidenden sind der Schatz der Kirche. In ihnen berühren sich Himmel und Erde.

 

Neu ist für mich eine Erfahrung, die ich auf einer Reise durch Mosambique gemacht habe. In der Hauptstadt Maputo sind die Gegensätze enorm. 10% der Bevölkerung lebt so wie wir, modern, europäisch, wohlhabend. Sie leben in eigenen Vierteln. Ihre Besitztümer sind von hohen Mauern eingefriedet, mit Glassplittern gespickt oder mit elektrisch geladenen Zäunen gesichert. Die große Mehrheit führt tagtäglich einen Überlebenskampf gegen die Armut, den Hunger und den allgegenwärtigen Mangel. Aber man muss einmal erlebt haben, wie diese Menschen Gottesdienst feiern, wie sie Gott mit ihren Liedern und einfachsten Instrumenten loben, wie sie tanzend das wenige, das sie haben, zum Altar bringen, Mais, Maniok, ein Huhn. Die eine Perle, auf die es ankommt, die besonders schöne und kostbare, die Armen müssen sie nicht kaufen, sie wird ihnen geschenkt. „Da berühren sich Himmel und Erde“.

 

Und hat nicht auch der Kaufmann im Gleichnis die kapitalistische Logik hinter sich gelassen, wie Eugen Drewermann vermutet? Wenn er all sein Kapital zum Ankauf dieser einen Perle investiert, wie lange wird er dann wohl warten müssen, bis er ihren Wert wieder „realisiert“, d.h. „zu Geld gemacht hat“? „Dieser Mann, das ist klar, handelt nicht länger als Kaufmann, sondern im Grunde als Liebender.“(Drewermann, Matthäusevangelium)

 

Die Drohung mit dem Gericht wird wohl erst Matthäus an das Gleichnis angefügt haben.  Ich lese sie als Warnung: Ohne Gerechtigkeit werden wir in Zukunft nicht in Freiheit leben können. Denn was wäre das für eine Freiheit, wenn sie sich hinter elektrisch geladenen Zäunen verschanzen müsste. Wir brauchen mehr Solidarität, die waagrecht verläuft und weniger Wohltätigkeit von oben nach unten. Dann berühren sich Himmel und Erde.