Erfüllte Zeit

03. 08. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Speisung der Fünftausend“ (Matthäus 14, 13 – 21)

von Pfarrer Christian Öhler

 

 

In der so genannten Speisungsgeschichte geht es um etwas ganz Alltägliches. Es geht um den Hunger und ums Essen. Essen müssen alle Menschen. Wir stärken uns hastig beim Frühstück, wenn es schon eilt; oder auch zu Mittag, wenn es viel zu tun gibt; gelassen und voll Freude, wenn die Arbeit getan ist oder wenn es ein Fest gibt, eine Hochzeit, eine Taufe, eine Geburtstagsfeier; manchmal sitzen wir einfach gemütlich beisammen und genießen, was es gibt: die Dinge schmecken uns und wir lassen sie uns schmecken. Manchmal ist es auch beschwerlich zu essen, wenn wir krank sind und uns nichts so recht schmecken will oder wenn in der Familie dicke Luft ist und alle nur verbissen in ihrem Essen herumstochern.

 

Um den Tisch herum spielt sich unser Leben ab.

 

Beim Picknick an einem schönen Sommertag ist es die Decke, die wir auf der Wiese ausbreiten und um die herum wir uns ins Gras setzen. So ähnlich können wir uns die große Speisung vorstellen, von der alle Evangelisten erzählen, eine Art Picknick, in der matthäischen Fassung am westlichen, jüdischen Ufer des Sees Gennesaret. In unseren Kirchen ist es der Altar, um den herum sich die Gemeinde zum Gottesdienst versammelt. In der Pfarrkirche von Treffling nördlich von Linz hat der Künstler Herbert Friedl diese beiden „Tische“ gedanklich miteinander verbunden. Sein Altar erinnert an einen Nomadentisch, vier Rohre, die schräg in den steinigen Boden gesteckt sind. Die Wanderung der Stämme Israels durch die Wüste Sinai ins versprochene Land. Daran wird hier bewusst angeknüpft. Immer wieder hat Israel im Verlauf seiner Geschichte erfahren, dass Gott das zum Leben Nötige gibt, Manna und Wachteln in der Wüste und Wasser aus dem Felsen. Der Gottesmann Elischa hat 100 Leute mit 20 Gerstenbroten satt gemacht. So steht’s im zweiten Buch der Könige im vierten Kapitel. Beim Gottessohn Jesus sind es 5000 Männer, nicht mitgerechnet Frauen und Kinder, die von den 5 Broten essen. Das ist im Verhältnis eine gewaltige Steigerung. Im Verständnis der judenchristlichen Gemeinden überbietet und vollendet Jesus das, was Gott - Jahwe mit Israel begonnen hat, im Rahmen des Bundes, der ja bis heute nicht aufgekündigt worden ist.

 

Kehren wir zurück an den See. Um den Tisch herum spielt sich unser Leben ab. Und das nimmt Jesus ernst. Er nimmt den Alltag der Menschen ernst. Er nimmt ihre Sorgen und Nöte ernst und er macht sich mit ihnen an die Lösung der Probleme. Wie so oft, wenn in der Bibel vom Essen die Rede ist, wird auch von einem Tischgespräch erzählt bzw. von einem Zeichen, das Jesus setzt. Viele Leute sind aus den Städten heraus an den See gekommen. Zu Fuß sind sie Jesus nachgegangen. Den ganzen Tag über hat er zu ihnen gesprochen und ihre Kranken geheilt. Als es Abend wird, werden die Apostel unruhig. Wo sollen die Leute Essen herkriegen in dieser abgelegenen Gegend? Sie möchten sie wegschicken. „Gebt ihr ihnen zu essen“ sagt Jesus.

Wie stellt er sich das vor, bei einer solchen Menge von Leuten, denken sie.

 

Das ist immer wieder unsere Angst: dass es nicht reichen könnte. Es beginnt bei einer simplen Einladung. Ich kauf zuviel ein, weil ich das Gefühl habe, es könnte nicht reichen. Und am Ende der immer gleiche Seufzer meiner Gäste. Gut war’s, aber viel zu viel!

Es geht damit weiter, dass sich heute schon Zwanzigjährige die Frage stellen, ob sie mit 65 eine Pension haben werden, von der sie leben können. Und können wir die vielen Menschen versorgen, die in unserem Land Schutz suchen, die Flüchtlinge, die Asylwerber? Schon die Angst vor möglicher Verknappung lässt uns misstrauisch und aggressiv werden.  „Schick doch die Menschen weg“ sagen die Apostel zu Jesus.

 

Er entgegnet ihnen: „Sie brauchen nicht wegzugehen.“ Und: „Was habt ihr da? Schaut einmal nach?“ Viel ist es nicht, nur fünf Brote und zwei Fische. Viele Leute werden da nicht satt. Aber Jesus dankt für das Wenige, das sie haben. Und er lässt es austeilen. Die Leute teilen, und teilen weiter. Und siehe da! Es ist genug für alle da. Das Wenige, das sie haben, reicht aus für viele. Ja, es bleibt sogar noch etwas übrig.

 

Was Jesus damals demonstriert hat, macht uns allen Mut. Das Wenige, das wir haben, reicht aus. Ich kann nicht das ganze Flüchtlingsproblem lösen, aber ich kann für die betroffene Familie etwas tun, die in meiner Nachbarschaft lebt. Ich kann mich politisch dafür einsetzen, dass Asylwerber arbeiten dürfen und nicht untätig herumsitzen müssen. Ich muss meinen Gästen nicht alles bieten, was gut und teuer ist. Da sein ist wichtig. Jugendliche lernen an meinem Verhalten, ob jeder sich selbst der Nächste ist oder Mitgefühl zählt. Als sozial bewegte Menschen werden sie dann schon geeignete Lösungen finden für Probleme, die es in Zukunft zu lösen gilt.

 

Und noch etwas können wir von Jesus lernen. Der Blick hinauf zum Himmel und die Aufmerksamkeit für das, was auf der Erde Not tut, schließen einander nicht aus. Das Gegenteil ist der Fall. Der Blick hinauf zum Himmel, das Lob Gottes, der die Fülle ist, also das genaue Gegenteil von Mangel und Verknappung, das Vertrauen in die Macht Gottes, in die Macht seiner Liebe, Güte und Gerechtigkeit, bewirkt das Wunder der großen Speisung. Die Güte siegt über die Angst, dass es nicht reichen könnte.

 

Fünf Gerstenbrote und zwei Fische ergeben die Zahl sieben. Die Sieben hat eine symbolische Bedeutung. Sie wird als Kombination der göttlichen Drei mit der irdischen Vier (vier Elemente) gedeutet. Wo Gott und Mensch zusammenwirken, verwandelt sich der Mangel in Fülle. Zwölf Körbe mit Brotresten bleiben übrig. Jeder der zwölf Apostel kann sich also nun mit einem gefüllten Korb auf den Weg machen. Wir schöpfen aus dem Vollen.