Erfüllte Zeit

10. 08. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Der Gang Jesu auf dem Wasser“ (Matthäus 14, 22 – 33)

von Regina Polak

 

 

Eben noch hatten sie alle gegessen und waren satt geworden: 5000 Männer und deren Frauen und Kinder. Ein Wunder, denn sie hatten nur „fünf Brote und zwei Fische“, wie das Evangelium berichtet. Aber wenn Jesus da ist, geschehen Wunder. Das Wenige, das da ist, reicht in seiner Präsenz für viele. Man kann sich vorstellen, wie glückselig die Stimmung der Jünger war, bei der Speisung der 5000. Wie nahe sich alle dem Himmel gefühlt haben müssen.

 

Und plötzlich, ganz unvorhergesehen, ist alles wieder anders. Die selbstverständliche Himmelsnähe ist verloren, verblasen vom Sturm. Wir hören die Geschichte einer existenziellen Glaubenskrise. Und das nach einem solchen Wunder! Wie verletzlich ist das Vertrauen der Menschen.

 

Jesus entlässt seine Jünger und zieht sich in die Einsamkeit zurück. Er fordert sie auf, mit ihrem Boot selbständig vorauszufahren zum anderen Ufer. Doch alsbald kommt das Boot in Seenot. Dunkelheit bricht aus, Gegenwind kommt auf, die Wogen drohen das Boot zum Kentern zu bringen. Der Kurs ist schwer zu halten. Was gewiss schien – die unerschütterliche Verbundenheit mit Jesus -  ist nicht mehr gewiss. Die Jünger fühlen sich verloren, kämpfen um ihr Leben und haben wohl riesige Angst – mehr als drei Tage lang.

 

Groß scheint die Distanz zu Jesus. Groß sind Angst und Verlassenheit. So groß, dass sie ihren Jesus nicht einmal erkennen, als er ihnen auf dem See entgegenkommt. Angst und Verzweiflung haben blind gemacht. Der Überlebenskampf hat sie ihren Herrn vergessen lassen. Als er kommt, halten sie ihn für ein Gespenst und schreien vor Angst.

 

Diese Reaktion macht nachdenklich. Menschen erschrecken, wenn ihnen die Rettung   entgegenkommt. Menschen haben Angst vor dem, was heilen kann. Sie würden am liebsten Reißaus nehmen, wenn Hilfe in Sicht ist. Mehr noch als die Seenot und den Überlebenskampf fürchten sie die Erlösung. Lieber weiterkämpfen als sich retten lassen!

 

Theologisch gesagt: Die Liebe Gottes anzunehmen in größter Not kann noch mehr Angst machen als die Not selbst.

 

Man kennt dies aus psychotherapeutischen Prozessen: Menschen leben mitunter lieber ein schwieriges, verzweifeltes Leben – zu groß ist die Angst vor Heilung, Veränderung, Befreiung.

 

Auf dem spirituellen Weg ist es ähnlich: Sich auf das Wagnis Liebe – also Gott – einlassen, scheint riskanter als auf die Eigen-Macht zu vertrauen.

 

In jeder existenziellen Seenot geht es um die Frage: Riskiere ich den Schritt aus dem vertrauten Boot? Wage ich, dem entgegenzugehen, was mir an Hilfe, an Liebe entgegenkommt?

 

Diese Wahl nimmt einem niemand ab: im Boot sitzen bleiben oder der Liebe entgegengehen.

 

Nach menschlichem Ermessen ist der Schritt aus dem Boot immer unsicher, riskant, irrational.

 

Petrus riskiert ihn: Herr, wenn Du es bist, dann kann mir letztlich nichts passieren. Dann ist nur die Frage, WIE ich zu Dir komme.

 

Ein Wagnis! Solange Petrus auf Jesus blickt, trägt das Wasser. Erst als er bewusst wahrnimmt, was er da eigentlich tut, droht er zu versinken. Menschliches Vertrauen ist erschütterlich. Petrus lernt: Alles kommt darauf an, sich von Jesus retten zu lassen.

 

Die Erzählung vom Gang auf den See ist nicht die Geschichte eines Magiers, der Wind und Wellen Einhalt gebieten kann. Sie lehrt uns: Sich auf Jesus einlassen, ist keinesfalls harmlos. Jesus vertrauen lernen, kann Angst machen.

 

Nach diesem Ereignis wird Jesus im Matthäusevangelium dann zum ersten Mal von Simon Petrus mit „Sohn Gottes“ angeredet.

 

Vor dem Hintergrund dieser Geschichte ist das eine Liebeserklärung.

Nicht in erster Linie eine dogmatische Aussage, keine philosophische oder theologische Schlussfolgerung. Die Liebeserklärung eines Erretteten, der glauben lernt.

 

Simon sagt damit: Jesus, Du bist der Grund meines ganzen Lebens. Du hast mich gerettet. Dir kann ich vertrauen. Dich darf ich lieben. Denn Du liebst mich – im Sturm und in den Abgründen meines Lebens. Du bist der Christus. Der lebendige Grund, dass Liebe und Vertrauen stärker sind als Angst und Verzweiflung.