Erfüllte Zeit

14. 09. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Erhöhung des Menschensohnes“

(Johannes 3, 13 – 17)

von Pater Karl Wallner OCist., Stift Heiligenkreuz

 

Das Fest der Kreuzerhöhung, 14. September, fällt heuer auf einen Sonntag und wird daher als Herrenfest gefeiert. Kreuzerhöhung lädt uns ein, auf das Kreuz zu schauen, und zwar hinaufzuschauen. Jesus wurde am Kreuz erhöht – Urbild dafür ist die Kupferne Schlange, mit der Mose auf der Wüstenwanderung das Volk Israel vor den Schlangenbissen rettet. Und für uns ist es der gekreuzigte Sohn Gottes, zu dem wir am Kreuz aufblicken sollen, um gerettet zu werden. Wir sind es ja gewohnt, unsere Kreuze „oben“ anzubringen. Sie laden zum Heben des Hauptes ein: Auf unseren Kirchtürmen, in den Wohnungen, sogar auf den Gipfeln der Berge.

 

Ja, zum Heben des Hauptes war das Kreuz ja erfunden worden. Diese Tötungsart haben die Römer gerade deshalb praktiziert, um ein abschreckendes Denkmal der Grausamkeit hoch aufzurichten. Die Felsnase namens Golgotha, ein ca. 10 Meter hoher nackter Felsen, der vor den Mauern Jerusalems aufragte, eignete sich nochmals besser dazu: Die zehntausenden Pilger, die zum Paschafest in Jerusalem waren, sollten damals nur sehen, wie die Staatsmacht mit Aufrührern umgeht.

 

Der Tod sollte möglichst qualvoll, und elendiglich langsam eintreten. Mit seinem Film „The Passion of the Christ“ ist Mel Gibson unter anderem auch wegen der gezeigten Grausamkeit und Blutrünstigkeit in das Schussfeld der Kritik geraten. Die Wirklichkeit war aber wohl doch nochmals grauslicher und ungustiöser. Christus stirbt nach der Terminologie des Johannesevangeliums, als das geschächtete Lamm Gottes, aus seinem geöffneten Herzen strömen Blut und Wasser. Damals kein erhabener, sondern ein erschütternder Anblick.

 

Heute werden in meinem Kloster Stift Heiligenkreuz im Wienerwald tausende Menschen ein Stück Holz verehren, das auf die Zeiten der Kaiserin Helena zurückgeht. Sie werden vor diesem Kreuz knien und es küssen und singen: „Heilges Kreuz, sei hochverehret“.

 

Der Widerspruch und die Unlogik sind es vor allem, die wir von diesem Fest mitnehmen sollten. Eine Unlogik, die sich nicht wirklich auflösen lässt, außer im Glauben. Eine Unlogik, die es – menschlich – verständlich macht, dass viele, die den christlichen Glauben nicht mehr oder noch nicht teilen, gegen das Kreuz rebellieren.

 

Der Galgen, an dem Grausamkeit und Brutalität, Hass und Lieblosigkeit inszeniert worden ist, ist für uns zum Symbol des Guten geworden. Vor dem historischen Kreuz wollen wir am liebsten die Augen niederschlagen. Aber die Kirche lässt uns nicht. Sie lädt uns ein aufzuschauen, denn in dieser Widersprüchlichkeit liegt eine Deutung des letzen Sinnes Gottes und der Welt.

 

Und dieser Sinn ist: Gott, der erhabene und Heilige, ist in das Gegenteil seiner selbst gegangen. Der über den Himmeln thront in entrückter Transzendenz hat jetzt seine Arme annageln lassen an der Banalität unserer Endlichkeit. Alles dreht sich um. Hier liebt einer mit einer Kraft, die nicht menschlich ist, sondern göttlich. Der Soldat, der die Seite Jesu mit der Lanze aufstößt, wird nicht sagen: „Hier hat ein Mensch gelitten“, sondern „Wahrhaft, dieser Mensch war Gottes Sohn.“

 

Wir Christen haben einen triftigen Grund, warum wir zum Kreuz aufschauen. Warum wir das Kreuz erhöhen und ihm einen Ehrenplatz geben. Denn durch das Kreuz Christi hat sich der geheimnisvolle Gott einen Namen gegeben, er hat sich selbst letztgültig definiert, und diese Definition lautet nach dem 1. Johannesbrief: „Gott ist die Liebe!“ Im Johannesevangelium heißt es: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15, 13)

 

Mein Lieblingstheologe Hans Urs von Balthasar sagt: „Wenn wir auf das ausblutende Herz am Kreuz schauen, dann liegt darin das ganze Geheimnis Gottes, sein innerstes Wesen entblößt vor uns. Dahinter ist nichts mehr.“

 

Ich schließe aber mit dem, was Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika „Deus Caritas Est“ ein so großes Anliegen war. Denn das Kreuz ist kein Objekt theologischer Spekulation, sondern ein Appell, eine Einladung. Im Kreuz liegt der Imperativ zur Liebe, zur konkreten realen Nächstenliebe. Um es mit den Worten des 1. Johannesbriefes zu sagen: „Daran haben wir die Liebe erkannt, dass Er sein Leben für uns hingegeben hat. So müssen auch wir für die Brüder das Leben hingeben.“ (1 Joh 1, 16)