Erfüllte Zeit

21. 09. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

Erfüllte Zeit 21. 9. 2008

 

„Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg“ (Matthäus 20, 1 - 16a)

von Pater Karl Wallner OCist., Stift Heiligenkreuz

 

 

Der Ordensvater von uns Zisterziensern, der heilige Bernhard von Clairvaux, war ein Meister der Schriftauslegung. Er hat immer betont, dass die Gleichnisse Christi eine irdische Dimension haben und eine – wie er es nennt „himmlische“.

Beginnen wir einmal mit der „himmlischen“ Dimension, und die ist in diesem Fall wirklich „Der Himmel“. Bitte keine primitiven Vorstellungen, denn was wir bildlich als Himmel bezeichnen, ist theologisch gesprochen die wichtigste Dimension unseres Glaubens, nämlich die „eschatologische“. Eschatologisch heißt: Auf das Letzte orientiert sein.

Der Lohn, um den es in dem Gleichnis geht, ist das Letzte, das Wichtigste, das entscheidendste, also das „Himmelreich“. Interessant ist, dass Jesus dieses Letzte mit dem Lohn für eine Arbeit vergleicht. Arbeit im Weinberg ist in den Evangelien immer die Metapher für das Wirken an der Ausbreitung der Liebe Gottes.

Und der Lohn dafür ist der eine Denar, den der Gutsbesitzer den Arbeitern gibt. Dieser Denar, also die eschatologische Belohnung, ist für uns die ewige Liebe Gottes. Für die Evangelien ist diese Dimension selbstverständlich. Für uns heutige nicht, weil wir erdgesättigt und weltverliebt sind. Dietrich Bonhoeffer hat gesagt: „Christen, die nicht für den Himmel leben, leben auch nicht für die Erde.“

Ja, wir sind sehr „uneschatologisch“ geworden, auch wir Christen. Gott ist weit weg. Der Himmel ist weit weg. Und Lohn? Lohn aus unserem religiösen Tun erwarten wir schon nur mehr für das Hier und jetzt, ein bisschen religiöse Beruhigung, ein bisschen meditative Entspannung… Das ist zu wenig! Der Denar, den Gott gibt, ist das Himmelreich. Also die Gemeinschaft mit einem Gott, der jenseits von allem Vergänglichen ewig und unermesslich reich ist. Wenn wir vergessen, dass wir auf Ewigkeit zuleben, dann haben wir das Entscheidende übersehen.

Der Wille Gottes ist es ja, dass alle auf ewig gerettet werden, so heißt es im 1. Timotheus-Brief (1 Tim 2, 4): „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden.“

Und da sind wir nun bei der irdischen Dimension dieses Gleichnisses, denn diese Erzählung ist ja in sich eine Provokation für unser Gerechtigkeitsempfinden. Ich habe das selbst einmal erlebt, wie ein braver Kirchgänger in der Christmette wutschnaubend in die Sakristei gestürmt ist: „Das ganze Jahr komme ich in die Kirche, und dann gibt es für mich zu Weihnachten keinen Sitzplatz mehr, weil da lauter Leute sind, die sonst nie in die Kirche gehen.“

In dem Gleichnis erhalten die, die treu und brav seit der Frühe arbeiten denselben Lohn, wie jene, die im letzten Augenblick – also gerade noch irgendwie – die Kurve gekriegt haben. Menschlich ist die Empörung verständlich. Aber Gott ist anders. Unser Gott ist kein Gott einer exklusiven Elite, sondern der inklusiven Liebe. Auch die Letzten sind dann in der Würde der Ersten.

Mit diesem Gleichnis lädt uns daher Jesus zu einer Dehnung unserer Herzen ein. Wir sollen nicht menschlich berechnen, sondern göttlich-weit lieben. Denn Gott liebt mit einer Weite, die alle Menschen meint. Meine alte Pfarrhaushälterin, Gott hab sie selig, ist auch einmal gekommen und hat geklagt: „Pater Karl, nach der Messe auf dem Kirchenplatz reden sie immer am meisten mit den Leuten, die selten oder gar nie kommen.“ Aber dann hat sie dazugesagt: „Naja, die werden es mehr brauchen.“

Als Priester staune ich heute, wie viele originelle Bekehrungen es gibt. Es gibt ein tief verschüttetes sehnsüchtiges Interesse am Glauben. Wie fatal ist es dann, wenn wir Kirchenchristen so indigniert und egozentrisch reagieren, wie das in dem Gleichnis von den beleidigten Arbeitern der Morgenfrühe ersichtlich wird?!

Und dann das große Resümee, das Jesus zieht: Die Wege in den Himmel sind verschieden, seien wir froh, wenn uns jetzt schon die Gnade des Glaubens geschenkt ist: Und freuen wir uns über alle, die Gott noch im letzten Augenblick dazu rufen will. Der Gott nämlich, der will, dass alle Menschen gerettet werden.