Erfüllte Zeit

28. 09. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Gleichnis von den ungleichen Söhnen“ (Matthäus 21, 28 – 32)

von Elisabeth Rathgeb

 

 

Heute haben wir die Wahl: Zahlreiche Parteien buhlen um unsere Stimme. Wähle mich! Bunte Plakate, farbige Spots und Werbegeschenke rufen uns seit Wochen auf: Entscheide dich für mich! Trotzdem werden auch heute wieder viele als Nicht-Wähler zu Hause bleiben. Nicht wählen, nicht entscheiden - auch das ist eine Wahl, die entscheidet.

 

Auch im heutigen Evangelium geht es um Wahl und Entscheidung. Allerdings lockt die Wahlwerbung Gottes nicht mit Zuckerln und Versprechen, sondern - ein kreativer Gedanke für Werbe-Manager? - mit Arbeit: "Geh und arbeite heute im Weinberg." Und jetzt ergeht es Gott so, wie es vielen Eltern ergeht, wenn sie ihre Kinder zur Arbeit rufen. Der eine Sohn sagt: „Ja, ja", denkt aber nicht daran, einen Finger zu rühren. Der andere ist gerade in der Trotzphase und sagt: "Nein, ich habe keine Lust, das ist überhaupt nicht cool". Aber nach einiger Zeit überlegt er es sich doch und geht.

 

Jesus erzählt dieses Gleichnis als Antwort auf die Frage: „Wer sind die Kinder Gottes? Wer gehört zum auserwählten Volk Gottes?“ Weil es eine politisch heikle Zeit für Jesus ist, in der ihn die Hohenpriester und Pharisäer schon auf der Abschussliste haben, wählt er nicht den Weg der direkten Konfrontation. Er gibt ihnen durch die Blume zu verstehen, dass sie auf dem Holzweg sind. Bei Gott zählen Taten statt Worte. Für Gott zählen nicht Rang und Status. Bei Gott gibt es kein Vorkaufsrecht und keine Privilegien. Jetzt könnten wir uns bequem zurücklehnen, mit Schadenfreude auf die Pharisäer schauen und uns darüber amüsieren, wie elegant Jesus ihnen die Meinung gesagt hat. Aber leider - oder Gott sei Dank - ist es kein bequemes antikes Gleichnis, das wir unter der Rubrik „Es war einmal...." archivieren könnten.

 

Auch, wenn wir alle keine Pharisäer und Hohenpriester sind, trifft uns heute die gleiche Frage, der gleiche Ruf und will eine Antwort von uns. Genauso, wie er in den Schriften des Alten Bundes dokumentiert ist und Adam getroffen hat. Gott sucht Adam, den Menschen und fragt: „Adam, wo bist du?“ Und jetzt geht es um eine Antwort. Ein Ruf, der keine Antwort bekommt, bleibt wirkungslos. Ein Ruf ohne Antwort ist ohnmächtig und hilflos. Ein Notruf am Berg, den niemand hört, kann tödlich sein. Was nützt ein Telefonanruf, wenn am anderen Ende der Leitung niemand abhebt? Wie frustrierend sind e-mails, die nicht beantwortet werden? Und wie hasse ich die Handy-Mailbox, die einen Rückruf verspricht, der dann nicht kommt. Erst die Antwort auf einen Anruf schafft Beziehung. Ruf und Antwort brauchen sich gegenseitig. Gott nimmt den Menschen ernst. Er manipuliert uns nicht. Daher wartet sein Ruf auf Antwort von uns. Vorausgesetzt, wir können ihn überhaupt hören. Im Lärm unserer Zeit, in der Fülle der Botschaften, in der Vielfalt der Anrufe „Kaufe mich, wähle mich!" ist das nicht selbstverständlich.

 

Ich suche die Zeiten der Stille, die anderen Klängen eine Chance geben - den leisen Tönen, den unaufdringlichen Lockrufen, den inneren Stimmen. Um Hörerin oder Hörer des Wortes zu werden, wie es Karl Rahner ausdrückt, braucht es auch die Erwartung eines Anrufes. Wer von uns hat nicht schon tagelang sehnsüchtig auf einen bestimmten Anruf gewartet und dabei das Telefon nicht aus den Augen gelassen oder das Handy vielleicht sogar mit auf's WC geschleppt? Wie sehnsüchtig erwarten wir einen Anruf Gottes? Wie gut ist unser inneres Ohr, unsere Seele „auf Empfang" eingestellt? Und was passiert, wenn der Anruf Gottes tatsächlich kommt?

 

1. Wahl: Leider bin ich nicht zu Hause. Bitte hinterlassen Sie mir eine Nachricht.

2. Wahl: Wer stört? Im Moment habe ich überhaupt keine Zeit.

3. Wahl: Hallo, Grüß Gott, pronto - Ja, ich bin da!

 

Da sein. Im Hier und Jetzt. Den Anruf annehmen und das Gespräch aufnehmen. Gott wünscht sich eine Antwort. So entsteht Beziehung. Dann verspricht uns Gott ein neues Herz und einen neuen Geist. Dann gilt auch für uns, was wir von Ezechiel in der heutigen Laudes hören: „Ich nehme das Herz aus Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch." Das ist das Wahlversprechen Gottes für uns. Es gilt heute, am „Sonntag der Völker" und morgen. Es gilt für uns und alle Menschen auf der Welt. Wir haben die Wahl.