Erfüllte Zeit

05. 10. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Gleichnis von den bösen Winzern“ (Matthäus 21, 33 – 44)

von Elisabeth Rathgeb

 

 

Skrupellose Vollidioten - so schildert Jesus die Winzer im Gleichnis: Sie töten den Sohn ihres Chefs und glauben trotzdem, seinen Besitz zu erben.

 

Die Hohenpriester und Pharisäer merken, dass Jesus von ihnen spricht und möchten ihn gerne verhaften lassen, aber noch trauen sie sich nicht. Denn Jesus lässt sich nicht so leicht eine Verleumdungsklage anhängen. Er spricht in Bildern und zitiert den Propheten Jesaja: In seinem "Weinberglied" ist schon vor vielen hundert Jahren davon die Rede, wie sich Gott vergeblich um sein Volk bemüht. Er tut alles dafür, dass der Weinberg gute Trauben bringen kann, aber die Früchte sind sauer. Später wird Jesus deutlicher und sagt den Pharisäern und Schriftgelehrten in aller Schärfe, was er von ihnen hält: "Wehe euch, ihr Heuchler! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel und lasst das Wichtigste im Gesetz außer acht: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue. ... Blinde Führer seid ihr. Ihr siebt Mücken aus und verschluckt Kamele." (Mt 23/23)

 

Harte Worte aus dem Munde Jesu. Gerade die Blindheit der Schriftgelehrten trifft ihn tief. Während seine Jünger und viele einfache Menschen im Land schon den Messias erkannt haben, sehen die Hohenpriester und Pharisäer in ihm lediglich eine Bedrohung ihrer Macht. Dabei kämpft Jesus auch bei seinen Jüngern gegen ein großes Missverständnis: Er will keine politische Konkurrenz sein. Er will nicht an die Macht, wie Menschen es wollen. Gott rettet auf andere Weise. Er liefert sich den Menschen aus, wie sich nur die Liebe ausliefert. Daher zitiert er Jesaja, der schon vom leidenden Gottesknecht spricht. Daher erklärt er seinen Jüngern in zahlreichen Variationen, dass Macht bei ihm "Dienst" heißt und Rangstreitigkeiten so ausgehen: Die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten werden die Ersten sein. Und daher wählt er als symbolträchtiges Zeichen für seinen Einzug in Jerusalem einen mickrigen Esel - und kein königliches Pferd. Der Messias kommt nicht hoch zu Ross. Und jetzt noch dieses Winzer-Gleichnis. Das provoziert die herrschende Klasse. Niemand will auf Privilegien verzichten. Jemand, der den laufenden Betrieb derart stört, muss schleunigst beseitigt werden. Da nützt es auch nichts, wenn Jesus den berühmten Eckstein aus Psalm 118 in Erinnerung ruft, der alle Bearbeitungsversuche der Bauleute übersteht: Gott bleibt - als Stein des Anstoßes und als Eckstein, der aufbaut und zusammenhält. Für die Pharisäer ist klar: Jesus stört. Er muss weg.

 

Mit dem heutigen Gleichnis sind wir mitten in diese Konfrontation geraten: Jesus provoziert. Er stellt Rang- und Machtstrukturen auf den Kopf. Er konfrontiert die vermeintlich Auserwählten mit einer unerhörten Frage: „Wo sind eure Früchte?“ Die Gegenwart Gottes fällt ganz anders aus als erwartet.

 

Die Provokation wirkt bis in die Gegenwart. Dieses Gleichnis beunruhigt mich. Keine Spur von Kuschelkurs und Wellness-Atmosphäre. Auch der Umstand, dass Jesus vor allem mit Pharisäern, Hohenpriestern und Schriftgelehrten hart ins Gericht geht, ist für Theologinnen und Theologen kein echter Trost. Muss ich mich zum Schluss auch noch betroffen fühlen vom Vorwurf: "Ihr siebt Mücken aus und schluckt Kamele"?

 

Im Vergleich zu einem radikalen Gottsucher wie Franz von Assisi sicher. Bei ihm hat es keine Kompromisse gegeben. Aussteigen, alles hinter sich lassen. Sich ganz Gott und damit auch den Menschen und den Tieren zuwenden. Aber leider bin ich keine Heilige, ja nicht einmal eine Aussteigerin. Eher ziemlich angepasst und integriert in klassische Rangordnungen. "Die Sehnsucht nach dem letzten Platz", wie Charles de Foucauld es einmal formuliert hat, ist auch schon eine ziemliche Herausforderung. Da bleibt nur die Hoffnung, dass auch das Bemühen um den Dauerauftrag zählt, wie Paulus ihn umrissen hat: "Gleicht euch nicht der Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken." (Röm 12/2)

 

In welche Richtung dieser Wandel gehen sollte, hören wir von Jesus selber. Er antwortet auf die Frage eines - ebenfalls verunsicherten - Pharisäers: "Du sollst deinen Gott lieben“. Und ebenso wichtig: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." (Mt 22/37-39).

 

Die Liebe zu Gott, dem Nächsten und mir selbst ist also untrennbar miteinander verbunden. Dafür gibt es ein schönes Bild in der Bibel, das unser heutiges Gleichnis vollendet, wenn Jesus sagt: "Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben." Wer mit Gott in Verbindung bleibt wie der Weinstock mit seinen Reben verbunden ist, kann reife Trauben bringen.

 

Wenn das kein Grund für Erntedank ist.