Erfüllte Zeit

12. 10. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

                                   

„Das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl“ (Matthäus 22, 1 – 14)

von Pater Gustav Schörghofer SJ

 

 

Ich habe das Glück, zwei Mütter zu haben. Nachdem meine erste vor langer Zeit gestorben war, hat mein Vater noch einmal geheiratet. Nach und nach habe ich meine zweite Mutter entdeckt. Da gab es viele wunderbare Überraschungen. Eine davon war die: Meine zweite Mutter ist Schneiderin. Genauer gesagt Herrenschneiderin. Für Kleidung, für Stoffe, für Verarbeitung und Sitz hat sie einen ganz feinen Sinn. Sie sagt nicht etwa: „Passt schon irgendwie“. Sie berät, geht ins Detail. Sie achtet darauf, dass der andere gut gekleidet ist – nicht irgendwie daherkommt. So ist sie um andere bemüht. Sie ist, denke ich mir, eine Erwählte. Denn niemand in meiner Umgebung kennt sich bei Kleidung so gut aus wie sie. Sie könnte auf ihrer Wolke sitzen, erhaben über all die anderen, die sich nicht so auskennen. Die in ihrer mangelhaften Kleidung eine schlechte Figur machen. Das tut sie aber nicht. Sie ist auf einer Ebene mit den anderen, sie sorgt sich um sie, dass sie eine gute Figur machen. Selbstverständlich sind die Erwählten nur wenige. Aber viele sind gerufen, und die Erwählten haben sich um sie zu kümmern. Dass all diese Gerufenen Anteil haben an den Schätzen der Erwählten.

 

Oder haben Sie gedacht, es säßen im Himmel nur ein paar Auserwählte, die amtlich beglaubigten Heiligen und noch ein paar andere, die von den kirchlichen Ämtern übersehen worden sind? Und der ganze Rest mit schmutzigen Hemden bleibt draußen. Der Himmel als geschlossene Gesellschaft. Wenn Sie das heutige Evangelium so verstehen sollten, dann wird es für uns alle eng. Dann haben wir keine guten Aussichten. Aber müssen Sie es so verstehen? Gibt es nicht eine andere Möglichkeit? Da die erzählten Bilder aus einem irdischen Zusammenhang stammen, würde ich sie zuerst als Bilder für irdische Zustände nehmen. Zuerst das Bild mit dem König und dem schlecht gekleideten Gast. „Warum hat sich niemand um ihn gekümmert“, frage ich mich. Jemand hätte ihm doch sagen können, dass er sich mit dieser Kleidung auf dem Fest nicht anschauen lassen kann. Jemand hätte ihm doch beistehen können, als er sprachlos vor dem König gestanden ist. Wo sind sie denn alle gewesen, diese Erwählten? Sie stehen da und lassen den armen Kerl voll in sein Verhängnis laufen. So wie der angezogen war, hätte ihn meine zweite Mutter gar nicht aus dem Haus gehen lassen. Und selbst beim Fest hätte sie das Gewand noch einigermaßen hingekriegt, dass er wenigstens nicht so verheerend aufgefallen wäre.

 

Ich frage mich also: „Was ist mit all diesen gut gekleideten Typen? Kümmern sie sich gar nicht um den anderen? Wo sind die Erwählten, denen es nicht gleich ist, wie die anderen gekleidet sind? Die sich so lange um sie bemühen, bis auch sie sich anschauen lassen können.“

 

Oder anders gesagt: Es genügt nicht, ängstlich auf die persönliche Bravheit bedacht zu sein. Die anderen sind auf mich angewiesen. Sie brauchen mein Interesse, meine Anteilnahme, mein Können. Ich werde nicht ohne sie in meinen Himmel kommen. Ja, ich muss eines lernen: Nicht ohne sie in meinem Himmel sein zu wollen.

 

Das ist ja auch der Sinn des ersten Gleichnisses. Es ist als eigene Geschichte zu lesen, nicht mit dem Gleichnis vom schlecht gekleideten Mann verbunden. Aber auch in diesem ersten Bild wird deutlich, dass es um ein Bemühen um andere geht. Das Mahl ist bereitet, das Fest kann beginnen. Doch die zuerst Eingeladenen verweigern sich. Das wird sehr brutal geschildert. Schließlich heißt es: Die Eingeladenen haben sich als unwürdig erwiesen. Gut, es wird doch andere geben, die würdig sind. Nein, nun werden alle hereingebeten, Böse und Gute. Hier ist von einem Bemühen um andere die Rede, das keinen Unterschied macht zwischen Würdigen und Unwürdigen. Das Bemühen gilt allen gleich.

 

Versuchen Sie doch, das auf Ihren Alltag zu übertragen. Machen Sie Unterschiede? Kümmern Sie sich mehr um jene, die würdig sind und gut, von denen Sie sich etwas erwarten können? Was bedeuten ihnen die anderen? Gott könnte durchaus ein Österreicher sein. Aber sicher nicht einer, der behauptet: Österreich den Österreichern. Wir alle sind Erwählte. Aber nur um den Preis, dass uns die Anderen, die Fremden, die Bösen gemeinsam mit den Guten nicht gleichgültig sind. Wenn ich so werden will wie Gott, muss ich mich um die anderen bemühen. Herrenschneiderinnen gibt es nur wenige. Aber jede und jeder kann dafür sorgen, dass der Andere eine gute Figur macht. Erwählte sind wir alle. Jede und jeder auf eine einzigartige Weise.