Erfüllte Zeit

19. 10. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Frage nach der kaiserlichen Steuer“ (Matthäus 22, 15 – 21)

von Pater Gustav Schörghofer SJ

 

 

Die Szene findet im Tempel statt. Auf der Silbermünze, die sich Jesus zeigen lässt, ist das Bild des Kaisers Tiberius und eine Schrift zu sehen: Kaiser Tiberius, des göttlichen Augustus anbetungswürdiger Sohn, oberster Priester.  Die göttliche Abkunft des Kaisers wird bekräftigt und seine religiöse Autorität. Diese Münze im Tempel bei sich zu haben, bedeutet eine grobe Missachtung der Würde des Ortes. Die Fragenden verraten von sich aus ihre heuchlerische Haltung. Jesus hat sich geschickt aus der Affäre gezogen. Aber darauf kommt es hier nicht an. Es geht im Evangelium nicht darum, die eigene Haut zu retten, stärker zu sein, allen Angreifern überlegen. Das Evangelium ist keine Schule der Überlebenskunst.

 

Seit dem Jahr 6 n. Chr. mussten auch die Bewohner von Judäa als römische Untertanen die Kopfsteuer zahlen, alle Männer, Frauen und Sklaven vom 12. bis zum 65. Lebensjahr. Die Haltung der Juden dieser Forderung gegenüber war gespalten. Die Zeloten, national gesinnte religiöse Eiferer, die einzig und allein die Herrschaft Gottes anerkennen wollten, lehnten die Kopfsteuer entschieden ab. Die gemäßigten Pharisäer hatten sich zum  Bezahlen der Steuer entschlossen. Mit ihrer Frage, die sie durch Abgesandte an Jesus richten, wollten sie eine Falle stellen. Bejaht Jesus das Bezahlen der Steuer, stellt er seine religiöse Autorität in Frage. Den Kaiser anerkennen bedeutete ja auch, ihn als oberste religiöse Instanz anzuerkennen. Würde Jesus die Steuer ablehnen, gäbe er sich als Aufrührer und Gegner der Römer zu erkennen. Jesus durchschaut seine Gegner. Er nennt sie Heuchler und sorgt dafür, dass sie sich als Heuchler zeigen. Mitten im Tempel haben sie selber die anrüchige Münze bei sich. Wenn sie schon das Geld bei sich haben und damit die Herrschaft der Römer anerkennen, so sollen sie doch auch die Steuer zahlen.

 

Bis hierher läuft alles glatt. Würde die Erzählung hier enden, könnten wir befriedigt feststellen, wie klug sich Jesus allen Angriffen entzogen hat, wie geschickt er die Fallensteller unschädlich gemacht hat. Das Problem der Steuer lässt sich auf einer praktischen Ebene sehr einfach lösen. Und im Übrigen geht uns das Ganze heute ohnedies nichts mehr an. Wir leben in einem säkularen Zeitalter. Unsere staatlichen Autoritäten erheben nicht mehr den Anspruch religiöser Verehrung. Wie gesagt: Hätte Jesus seine Antwort auf „Dann gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört“ beschränkt, wäre alles klar und abgeschlossen. Aber er sagt noch etwas dazu: „und Gott, was Gott gehört“.

 

Mit einem Mal reißt er die enge Welt politischer und religiöser Machtfragen auf. Mit einem Mal wird mir klar: Ich muss Stellung beziehen. Ich muss mich entscheiden. Was gehört einer weltlichen Autorität? Was gehört Gott?

 

Durch die vergangenen 2000 Jahre sind diese Fragen immer wieder gestellt worden. Die Antworten waren sehr verschieden. Die politischen Systeme und ihre Ansprüche waren unterschiedlich, auch die Ansprüche der Kirche haben sich sehr gewandelt.

 

Die Antwort Jesu ist immer die gleiche geblieben: „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört.“ Er sagt nicht „der Kirche“, er sagt „Gott“. Dieser Satz ruft mich in eine Verantwortung. Ich muss mit mir ins Reine kommen. Wo stehe ich? Nehme ich über alle irdischen Rücksichten hinaus noch einen anderen Horizont wahr? Gelingt es mir, von der Welt, vom Menschen größer zu denken als nur in Kategorien der Nützlichkeit, Abhängigkeit und Verpflichtung? Reiche ich mit meinem Denken in jene Zonen hinein, wo Gnade, Geschenk und Hingabe beheimatet sind?

 

Als Christ kann ich die Welt nicht einfach als gegeben annehmen, mich in sie einfügen und brav meine Pflichten erfüllen. Ich werde mich mit meinen besten Kräften immer neu darum bemühen, dass sich die Welt nicht in Selbstgenügsamkeit versperrt. Ich bemühe mich darum, dass sie offen bleibt für das Unerhörte, das Überraschende der Gnade. Ich meine damit nicht bloß das Geschenk der Gnade Gottes, sein Bemühen um uns. Ich meine auch das Geschenk der Gnade, die wir Menschen einander erweisen. Indem wir groß denken vom anderen. Indem wir ihm Raum schenken. Ich meine auch unser eigenes Bemühen um den anderen. Besonders um jene, die fremd sind, am Rand der Gesellschaft stehen. Der Staat steht und fällt damit, dass es Menschen in ihm gibt, die über alle gegebenen Verbindlichkeiten hinaus einen weiteren Horizont offen halten, den der Hingabe, des Geschenks, der Gnade. Das ist keine Schule der Überlebenskunst. Aber es fordert die besten Kräfte.