Erfüllte Zeit

01. 11. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Rede von der wahren Gerechtigkeit“ (Matthäus 5, 1 – 12a)

von Hans-Peter Premur

 

 

Wo, glauben Sie befindet sich die Insel der Seeligen? Ich bin mir sicher, vielen von Ihnen wird die Assoziation zu dem bekannten Wort Papst Pauls VI. über das damalige Österreich kommen. Immer wieder haben wir in der Vergangenheit diesen Untertitel zu unserem Staat gehört, gelesen oder gar selbst im Mund geführt. Die Insel der Seeligen – ein Ort, der von den unseligen Dingen in dieser Welt, von Tod, Schrecken, Angst und Leid nicht mehr berührt werden kann. So eine Insel war Österreich nie - und wird es wohl nie sein. Unser Land ist wie jedes andere auch: Der Ort wo Menschliches, allzu Menschliches und oft auch Unmenschliches sich ereignet. Dennoch wurde uns manchmal unterstellt zu glauben, dass wir in so einem sicheren, stabilen und schönen Land leben, dass die Wogen und Krisen der Welt uns nicht wirklich etwas anhaben können. Doch gerade jetzt in den letzten dramatischen Tagen wo Verunsicherung am Finanzsektor um sich greift, erleben wir, dass wir auf keinen Fall auf so einer Insel leben.

 

Die Insel der Seligen ist ein Ort der griechischen Mythologie. Normale Sterbliche haben dort keinen Zutritt. Nur Helden und Halbgöttern wird hier nach einem verdienstvollen Leben Einlass gewährt. Alle anderen Verstorbenen befinden sich nach Meinung der alten Griechen in einer wesentlich unangenehmeren Schattenwelt. Hingegen ist auf der Insel der Seligen das Weiterleben nach dem Tod durchaus attraktiv. Nicht Untergang, sondern volle, ja verbesserte Existenz wird uns dort versprochen. Mit den Krisen und der Unvollkommenheit des irdischen Daseins hat man dann nichts mehr zu tun. Dieses „Elysium“ klingt als besungener Idealort durch die Jahrhunderte. In der 9. Symphonie Beethovens genauso wie in Mozarts Zauberflöte, wo der Vogelfänger Papageno meint, dort könne man unbeschwert und solange man möchte essen, trinken und sich ohne Verantwortung vergnügen.

 

Eine wahrlich abgehobene Sichtweise, jedenfalls für Christen, die sich doch der Bergpredigt verpflichtet wissen. Seligkeit ist dort nicht etwa eine Flucht aus dieser unbequemen Welt in eine Art sinnlich angenehmes Nirwana, sondern ist aus der Sicht Jesu etwas ganz anderes. Im Gegenteil zur Griechischen Mythologie ist die Insel der Seligkeit nicht ein entrückter isolierter Ort, sondern die gesamte irdische Welt mit all ihren Unvollkommenheiten und Nöten. Die Armen, die Trauernden, die von Gewalt betroffenen – alle, die im großen Defizit leben – sind für Jesus das Ziel der Seligkeit. Nicht ist es die Flucht aus dieser Welt, sondern das Leben inmitten der vielen Probleme unseres Planeten. Nicht Abtötung und Abstumpfung unserer Sinne vor dem Tragischen, sondern das Wahrnehmen des Leidens und die Solidarisierung mit den leidenden Menschen bringen uns in Jesus Nähe. Denn wenn Gott auf Wolke 7 in seiner Seeligkeit verharrt wäre, hätte Jesus nie Mensch werden brauchen. Doch Gott wendet sich – und das glaubt die Kirche von Anfang an – der Welt in seiner Unerlöstheit zu. Das ist die Botschaft des gesamten Evangeliums und auch die Botschaft für den heutigen Tag. Immer wieder wurde sie von Menschen verstanden, die sie auch gelebt haben. Manche davon sind so bekannt geworden wie Mutter Theresa in Indien oder die gerade eben verstorbene Schwester Emmanuelle, die Mutter der Armen von Kairo. Andere befinden sich vielleicht in unserer nächsten Umgebung und leben diese Botschaft im Kleinen und im Alltäglichen. Sie haben alle das, was Heilige auszeichnet. Der Glaube daran, dass Gott sich um den Menschen kümmert. Und wenn Gott dies tut, dann ist der Mensch, der Gott gleich werden will, der an seiner Seligkeit Anteil haben will nicht auf der Flucht aus dieser Welt, sondern geht mitten in sie hinein. Seligkeit ist deshalb nicht eine Vertröstung auf einen zukünftigen Zustand oder gar die Verheißung eines utopischen Ortes, an dem uns nichts mehr zu kümmern braucht, sondern Seligkeit ist hier und jetzt schon erfahrbar, wenn man sich auf den Weg Gottes, der gerade in der Bergpredigt so deutlich zu Tage tritt einlässt.

 

Ja, angenehm ist das Christsein vielleicht nicht. Das unterscheidet es von der griechischen Inselmythologie, doch selig macht es uns dennoch – probieren sie / wir es doch aus.